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Mai, 2019:
Ausgabe #10 ist erschienen

Veranstaltungsreihe

Kunst und Kapital

Ästhetische Erfahrung als Prisma gesellschaftlicher Erfahrung

Wozu braucht Kritik am Kapitalismus Kunst? Für manche Linke ist Kunst selbstgebastelter Raum echt authentischer Verwirklichung, andere wiederum betreiben mit der Frage nach der Zweckmäßigkeit des Kunstwerkes für die Politik eine  Entpolitisierung, die wieder andere als Vorwurf an die Kunst insgesamt richten, die nichts denn elitäres Hobby, bourgeoise Schöngeisterei sei, Ablenkungsstrategie davon, dem wirklichen Elend ins Auge zu sehen.   
Wenn all dem so wäre – und wenn schon. Problem daran ist aber, dass jeweils Kritik sich um die Erfahrungsmöglichkeit dessen bringt, was Kunst gerade unter Absehung der Frage nach ihrer möglichen Zwecklosigkeit oder Zweckmäßigkeit vor dem Begriff für diesen ausspricht.
Die Veranstaltungsreihe beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Kunst, Kritik und kapitalistischer Wirklichkeit. Die Vorträge gehen von konkreten Werken aus und entwickeln Punkte der Durchkreuzung von alltäglicher Realität und der ästhetischen Realität des Werkes. Gezeigt und diskutiert werden soll, inwiefern Kunstwerke – da‚ diese nicht außerhalb und nicht in der Welt‘ zugleich sind – Erfahrung von gesellschaftlicher Wirklichkeit ermöglichen. Eine Erfahrung die diese eben nicht auf den ‚kritischen Begriff‘ bringt, ohne die eine solche Kritik aber versteinern würde.

 


Gewalt im Blick
Wie gesellschaftliche Gewaltverhältnisse ästhetisch erfahrbar werden
 

Vortrag und Diskussion mit Juliane Hummitzsch

Daniel Richter will mit seiner Kunst daran erinnern, dass es eine Welt gibt, die fremd und bedrohlich ist: die eigene nämlich – wie er einmal in einem Interview sagte. So stellt Richter in seinem Gemälde »Dog Planet« von 2002 das Moment des Übermächtigen und Gewaltvollen staatlicher Realität in einer Art und Weise dar, welche die betrachtende Person in Konflikte bringt.
Ausgehend von der ästhetischen Erfahrung mit »Dog Planet« wird die Referentin in ihrem Vortrag eine Lesart des Kunstwerks entwickeln, welche unter Rekurs auf Walter Benjamins Überlegungen zum Verhältnis von Staats- und Naturrecht in den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen eine Kritik der Gewalt entfaltet. Auf welche Weise die künstlerischen Formen Richters die Realität staatlicher Machtverhältnisse zu fassen bekommen und sich diesen entgegen stellen, dem wird sie angelehnt an Sigmund Freuds Verständnis von Voyeurismus und der Funktion des Humors als eines vorübergehenden psychischen Entlastungsmechanismus nachgehen.
Über die Reflexion des widersprüchlichen Erlebens des Kunstwerks wird hier die These vertreten, dass sich Gewalt auch in den Blickverhältnissen Bahn bricht und gleichzeitig an der realen Übermacht von physischer Stärke scheitern muss.

Termin: Dienstag, den 20. Dezember 2011, 20 Uhr in der Villa Ichon
In Kooperation mit der Rosa Luxemburg Initiative Bremen


Geld gegen Strich
Über die Kunst der Ware, scheinbar keine zu sein

Vortrag und Diskussion mit Sonja Witte

Santiago Sierra schockierte in den 1990er Jahren mit Performances, in denen er Menschen für erniedrigende Tätigkeiten bezahlte – z.B. ließ er einen Mann vor laufender Kamera masturbieren, er bezahlte Menschen dafür, sich Striche tätowieren oder sich tagelang in Kisten einzusperren zu lassen. Der moralischen Empörung der Öffentlichkeit entgegnet er, nichts anderes zu tun, was außerhalb der Kunstwelt tagtäglich vor sich geht. Damit wolle er demonstrieren, dass auch Kunst nichts anderes als eine Verschleierung gesellschaftlicher Ausbeutung ist. Die minimalistischen Objekte von Donald Judd hingegen , scheinen sich fern ab von der Materialität der Realität der Arbeitswelt zu befinden und sich nur mit der ästhetischen Kategorie der Form auseinanderzusetzen. Unter Rekurs auf Adornos Ästhetische Theorie und Freuds Theorie der Kunst als magischer Technik, die ein fetischistisches Genießen bewirkt, wird der Vortrag folgende These entfalten: Die ‚politische Kunst‘ von Sierra, ist da, wo sie der Realität am nächsten sein möchte, eine Inszenierung, die – entgegen der Proklamation von Sierra selbst – sehr wohl ihren ästhetischen Charakter bezeugt. Donald Judds Objekte wiederum – obgleich sie dem minimalistischen Credo zufolge auf nichts als sich selber als zeitlose Einheit verweisen möchte – verweisen sehr wohl auf den Prozess ihrer Herstellung und damit auf ein Außerhalb ihrer selbst. Die Referentin möchte damit demonstrieren, warum an Kunst nicht die Frage zu stellen wäre, ob sie etwas mit ‚unserer‘ alltäglichen Welt zu tun hat, sondern dass die Frage wie das Verhältnis von Ästhetik und gesellschaftlicher Realität immanent in den Kunstwerken zum Ausdruck kommt, einen wichtigen Ausgangspunkt für ästhetische Erfahrung darstellt.

Termin: Dienstag, den 31. Januar 2012, 20 Uhr in der Villa Ichon



Poetischer Enthusiasmus
Kindheit und Kolportage bei Else Lasker-Schüler

Vortrag und Diskussion mit Magnus Klaue

Einst für ihren naiven Geist gepriesen oder geschmäht, gilt Else Lasker-Schüler heute als Zeitgenossin in fast jeder Hinsicht. Demgegenüber soll der Vortrag zeigen, dass der radikale Impuls ihres Œuvres nur erfasst werden kann, wenn die vermeintlich trivialen Gehalte ernst genommen werden, die ihrem Werk bis an die Schwelle des Exils zugrunde liegen und sich als Ästhetik der Kolportage beschreiben lassen. Lasker-Schülers Grundgestus einer polemischen Negation bürgerlicher Hoch- wie populärer Massenkultur wird anhand ihrer Poetik der Kindheit, der Kritik des Kindheitskults Peter Hilles, der Affinität zum Dichtungskonzept Gustav Landauers, der Auffassung von Kitsch und Nonsenspoesie sowie ihrer Poetik der Urbanität nachgezeichnet.
In seiner »Berliner Kindheit um neunzehnhundert« sowie in der »Einbahnstraße« beschreibt Walter Benjamin Erfahrungen bürgerlicher Kindheit, die sich auf keine bürgerliche Pädagogik und keine romantische Kindheitsideologie reduzieren lassen. Diese kreisen immer wieder um das Glück einsamen Lesens und Spielens - Szenen einer Selbstvergessenheit, in der Alleinsein nicht Privation, sondern Erfüllung bedeutet und die eine Sehnsucht weckt, an die der Erwachsene sich nicht mehr erinnern darf, will er nicht der universalen Lüge gewahr werden, auf der seine Existenz beruht. An solche kindlichen Lese- und Spielszenen knüpft auch Else Lasker-Schüler an, die von sich behauptet hat, ihre gesamte Dichtung sei im Grunde dem kindlichen Knopfspiel entsprungen. Der Vortrag entfaltet diese Poetik der Kindheit bei Lasker-Schüler in Rekurs auf Benjamin, aber auch in Absetzung zu damaligen pädagogischen und psychologischen Diskussionen über Kindheit. 

Termin: Dienstag, den 21. Februar 2012, 20 Uhr in der Villa Ichon
In Kooperation mit dem Literaturkontor Bremen



Dry Shit
Versuche der Entmaterialisierung des Kunstobjekts

Vortrag und Diskussion mit Till Gathmann

Einem bekannten Verdikt Adornos zufolge ist »alle Kultur nach Auschwitz, samt ihrer dringlichen Kritik daran (…) Müll«. Verbunden mit der Erfahrung des »Zivilisationsbruchs« ist der Zweifel an der Gültigkeit des autonomen Kunstwerks. Auf welche Weise aber machte Kunst nach 1945 tatsächlich weiter? Und wie verhielt sie sich im Sog des boomenden amerikanischen Kunstmarktes der fünfziger und sechziger? Der Vortrag soll die Warenförmigkeit des Kunstwerkes in spätbürgerlichen Zeiten der »Produktion des Reichtums als Zerstörung des Gebrauchswerts« (Wolfgang Port) in den Blick nehmen und analysieren, wie künstlerische Strategien der Minimal Art und der Konzeptkunst einen neuen Werkbegriff entwickelten, der – zwischen Selbstekel und Überlegenheitsphantasie – für die sogenannte zeitgenössische Kunst bis heute bestimmend ist. Die »Beherrschung der Objektbeziehungen« (Bela Grunberger), als Kennzeichen aller institutionskritischen Kunst, ist Reaktion auf und Vollzug der gesellschaftlichen Krise des Werkbegriffs.

Termin: Montag, den 26. März 2012, 20 Uhr in der Villa Ichon
In Kooperation mit der Rosa Luxemburg Initiative Bremen 


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