Globale Verachtung und Verfolgung
Über die weltweite Repression gegenüber LGBTI1
Die Frage nach der Emanzipation von LGBTI scheint in Deutschland auf die Frage des gleichberechtigten Heiratens für homosexuelle Paare und die intensive Suche nach dem ersten schwulen Fußballprofi zusammengeschrumpft zu sein. Diese partikularen Fragestellungen verbergen die Lebensrealität der betroffenen Individuen samt ihrer Probleme. Je nach Studie hat ca. jeder fünfte Homosexuelle schon einmal versucht sich umzubringen, besonders gefährdet sind Jugendliche vor dem 20. Lebensjahr. Der Anteil von homosexuellen Jugendlichen, welche über Suizid nachdenken ist zwei bis fünfmal so hoch wie bei gleichaltrigen Heterosexuellen. 33% der Homosexuellen mit Selbstmordgedanken versuchen sich tatsächlich umzubringen, wohingegen bei Heterosexuellen der Anteil nur bei 3% liegt. Zudem ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen, da die Jugendlichen oft niemanden haben, dem sie sich anvertrauen können.
Das Beispiel Frankreich zeigt zudem, dass die homosexuelle Emanzipation keine geradlinige Erfolgsgeschichte darstellt. Es führt vor Augen, dass ein reaktionärer Umschlag der öffentlichen Meinung hinsichtlich Homosexualität stets möglich ist. So entwickelte sich im Zuge der »mariage pour tous«, welche eine Gleichstellung im Ehe- und mit starken Abstrichen im Adoptionsrecht von Homosexuellen und Heterosexuellen vorsah, ein breites reaktionäres Gegenbündnis. Das Bündnis setzte sich aus einer Mischung von konservativen, extrem rechten sowie katholischen und muslimischen TraditionalistInnen zusammen. Neben Großdemonstrationen mit bis zu 400000 TeilnehmerInnen samt massiven Zusammenstößen mit der Polizei, kam es zu einer Häufung von körperlichen Angriffen auf vermeintlich Homosexuelle und schwul-lesbische Treffpunkte. Die angenommene gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber Homosexualität erwies sich im Zuge der Auseinandersetzung als äußerst brüchig. Die rechtliche Gleichstellung darf nicht mit dem Verschwinden des Hasses gegenüber Homosexuellen gleichgesetzt werden.
Homosexuelle sind innerhalb westlicher Gesellschaften jedoch zumindest vor staatlicher Verfolgung geschützt. Bezogen auf die rechtliche Lage sieht es in anderen Teilen der Welt leider ganz anders aus. In 76 Ländern, vor allen Dingen in Afrika und Asien sind Homosexualität bzw. homosexuelle Praktiken nach wie vor illegal und werden u.a. mit Haftstrafen oder gar der Todesstrafe geahndet. Dieser Artikel soll im Folgenden einen Überblick über die Lebensumstände von LGBTI in Osteuropa, Afrika und dem Nahen Osten liefern. Zudem thematisiert der Text die Situation von LGBTI, welche sich zur Flucht, aus ihren Heimatländern und der dort vorherrschenden Situation, entscheiden sowie die westliche Reaktion darauf. Durch diese Auswahl soll ein Querschnitt in Hinblick auf die verschiedenen Ausformungen der Ablehnung und Verfolgung, welchen diese Menschen ausgesetzt sind, gegeben werden.
Osteuropa
Auch im Hinblick auf Osteuropa bietet sich ein anderes Bild. Innerhalb dieser Staaten ist Homo- und Transphobie weit verbreitet. Schwul-lesbisches Leben ist oftmals nur im Schutze der Privatsphäre, via Internetforen sowie in manchen Ländern vorhandenen Gay Clubs bzw. öffentlichen Orten wie Parks möglich. Wird ein privates und verstecktes Ausleben der Sexualität mitunter noch toleriert, erscheint ein offenes Auftreten (bspw. in Form einer Demonstration) selbst für viele Liberale als nicht mehr akzeptabel. So manifestierte sich die homophobe Grundstimmung in den letzten Jahren öffentlich mittels massiver körperlicher Angriffe durch NationalistInnen, Hooligans und klerikale FaschistInnen auf Demonstrationen, mit welchen LGBTI auf ihre Lage aufmerksam machen wollten bzw. durch die Verbote der Paraden. Diese Ereignisse hatten eine größere Sichtbarkeit zur Folge, was u.a. mit einer gesteigerten Sorge vor Übergriffen einherging. Der Alltag in den Ländern ist häufig von Gewalterfahrungen geprägt. In einer serbischen Umfrage gaben beispielsweise 70% der Befragten an, dass sie aufgrund ihrer Homosexualität physische und psychische Gewalt erfahren haben.
Zugleich wurde innerhalb vieler osteuropäischer Staaten innerhalb kurzer Zeit auf rechtlicher Ebene im Hinblick auf Homosexualität einiges erreicht. In manchen Ländern erfolgte der Schritt von einem Verbot hin zu einer umfassenden Legalisierung innerhalb weniger Jahre. Diese Entwicklungen sind jedoch im Alltag der Menschen kaum präsent. Im Allgemeinen lässt sich festhalten, dass die Gesetzgebungen der einzelnen Länder oft progressiver erscheinen als die gesellschaftlichen Wertvorstellungen und die Lebensrealität, mit welcher die Homosexuellen konfrontiert sind.
Ein rechtlich abgesicherter Schutz von Minderheiten sowie die Ausrichtung von Pride-Paraden ist oder war für einzelne Staaten von großem Interesse, da dies die Chancen auf einen möglichen EU-Beitritt erhöht. Die Hoffnungen der LGBTI-Community richten sich somit auf die EU und den Westen, dies führt im Rest der Bevölkerung oftmals zu einer abwehrenden, von Nationalismus geprägten Ablehnung. Homosexualität wird oftmals als westlicher Import angesehen und eine Angleichung an EU Standards als bevormundende und aufoktroyierte Quelle von Nachteilen für das eigene Kollektiv wahrgenommen. Zudem würde die eigene nationale Identität durch diese Westimporte in Gefahr gebracht. Zielführender als der reine Bezug auf die EU scheint die Arbeit von NGOs wie Queer Beograd zu sein, welche u.a. probieren, bei Journalist_innen und Mitarbeiter_innen von NGOs ein Bewusstsein für Homosexualität zu schaffen und auf diesem Wege Diskussionen innerhalb der Bevölkerung anzustoßen versuchen.
Selbst diese zögerlich annähernde Politik der rechtlichen Gleichstellung scheint nicht in allen ehemaligen realsozialistischen Staaten von Dauer zu sein. Ein gutes Beispiel für den sich wandelnden Umgang im Hinblick auf Homosexualität stellt die Politik Russlands in diesem Zusammenhang dar.
Innerhalb der Sowjetunion gab es nach der Oktoberrevolution zwar eine kurze Periode, in welcher die Bolschewiki alle Strafvorschriften im Hinblick auf Homosexualität abschafften, dies war jedoch nur von kurzer Dauer. Unter Stalin wurde das Sexualleben massiven Reglementierungen unterworfen, welche bis in die 1990er Jahre Gültigkeit behielten. So erließ Stalin 1933 ein Gesetz, nach welchem Homosexualität mit bis zu fünf Jahren Zwangsarbeit bestraft werden konnte. Dieses Gesetz fungierte in Prozessen öfters als Vorwurf, um politische Konkurrenten auszuschalten oder die Opposition klein zu halten. Ausnahme war das auf Fachkräfte angewiesene Sibirien, in welchem Schwule schon Ende der siebziger Jahre heiraten konnten. Insgesamt wurden nach unterschiedlichen Schätzungen in den Jahren ab 1934 ca. 60 000 bis 250 000 Menschen aufgrund des antihomosexuellen Paragraphen verurteilt. Innerhalb der anderen realsozialistischen Staaten ist hingegen die Entkriminalisierung von Homosexualität mitunter schon in den 1960er und 1970er Jahren z.B. in Polen oder der Tschechoslowakei erreicht worden. In Russland ist seit 1993 zwar das Verbot von Homosexualität aufgehoben, jedoch ist seit Juni 2013 nunmehr ein landesweites Gesetz in Kraft getreten, welches «Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen”, sprich »homosexuelle Propaganda« kriminalisiert, zudem wird von Seiten der Polizei massiv gegen LGBTI-Demonstrationen vorgegangen. Das Verbreiten von positiven Informationen für Jugendliche und die öffentliche Unterstützung und Demonstration von Homosexualität werden mit hohen Geldstrafen für Staatsbürger_innen und für Ausländer mit Gefängnis und Ausweisung belegt. Russland stellt jedoch keinen Einzelfall dar, ähnliche Gesetze wurden auch in anderen ehemaligen sozialistischen Ländern wie beispielsweise in der Ukraine eingebracht, bzw. werden in den jeweiligen Parlamenten diskutiert. Mit diesem neuen Gesetz wird dem Hass auf Homosexuelle Vorschub geleistet, Aufklärung und möglicher Abbau von Vorurteilen verunmöglicht und den Betroffenen von homophoben Attacken wird es erschwert, sich gegen diese zu wehren.
Schon jetzt hat das erlassene Gesetz Einfluss auf die Lebensrealität von LGBTI innerhalb Russlands. Neonazis und radikale ChristInnen fühlen sich dadurch in ihren Ansichten und Aktivitäten bestärkt. Neonazis, die sich u.a. in dem angeblich 500 Gruppen umfassenden Netzwerk »Occupy Pädophilie« sammeln, legitimieren ihre Hetzjagden auf Homosexuelle mit angeblichem Kinderschutz, da Homosexualität von ihnen mit Pädophilie gleichsetzt wird. »Kinderschänder« sollen von ihrer »Krankheit« geheilt werden und die russische Nation gleichzeitig von Homosexuellen »gereinigt« und »befreit« werden. Mittels Dating-Plattformen finden diese Gruppen Kontakt zu ihren späteren Opfern, es kommt zu Entführungen und der Anwendung von Folter oftmals in Form von massiver körperlicher Gewalt. Die öffentlich gedemütigten Opfer werden via Internet in Schule, bei der Familie und Freunden zwangsgeoutet – Traumatisierungen und Selbstmorde der Opfer sind häufige Folgen. Von staatlichen Sicherheitsbehörden haben die Täter nichts zu befürchten. Sie können Fotos ihrer Taten veröffentlichen, ohne dass sie Gefahr laufen müssen angeklagt zu werden. Vielmehr ist für Opfer, falls sie es doch wagen sollten sich an die Polizei zu wenden, die Gefahr groß, dort abermals misshandelt zu werden.
Trotz unterschiedlicher Gesetzeslage und einem unterschiedlichen Niveau von Toleranz gegenüber LGBTI in den verschiedenen Staaten, gibt es ähnliche Gründe für den Hass auf Homosexuelle: Oft ist es eine Vermischung von Glaubensfragen und Nationalismus. Gerade die Kirchen erhalten in Zeiten der ökonomischen und sozialen Unsicherheit Zulauf. Innerhalb der Kirche gilt Homosexualität als etwas unchristliches und widernatürliches, das gegen göttliche Regeln verstoße. Wurde innerhalb der real existierenden sozialistischen Staaten zumindest versucht die Kirche aus der Alltagspolitik in die Privatsphäre abzudrängen, gewinnt sie innerhalb der postsozialistischen Staaten zusehends wieder an gesellschaftlichem Gewicht. Dementsprechend war schon Anfang der sechziger Jahre im katholischen Polen eine Entkriminalisierung von Homosexualität möglich, womit es das erste europäische Land war, welches dies durchsetzte. Generell lassen sich zunehmend gewalttätige Übergriffe, Christopher-Street-Day-Verbote beobachten. So heizt der Führer der russisch orthodoxen Kirche Kyrill I.
die homophobe Stimmung in Russland dadurch weiter an, dass er gleichgeschlechtliche Ehen als gefährliches Zeichen der Apokalypse diskreditiert. In Georgien griff ein Mob von 20.000 GegendemonstrantInnen unter Führung von Priestern eine Pride-Demonstration brutal an und verletzte dabei zahlreiche Menschen. Zuvor hatte das georgische Kirchenoberhaupt Ilia II. homosexuelle Menschen als »krank« bezeichnet und damit den Startschuss für die folgenden Übergriffe gegeben.
Im Unterschied zu Deutschland, wo die organisierten Religionen zunehmend an Einfluss verlieren und deren konservative Appelle in Hinblick auf Sexualität bei vielen auf Unverständnis stoßen, ist der Einfluss in Osteuropa weiterhin groß. Jedoch ist es nach wie vor so, dass den deutschen Kirchen ein gewisses Maß an Autonomie im Hinblick auf Diskriminierung zugebilligt wird. So haben sie noch immer die Sondererlaubnis innerhalb ihrer kirchlichen Erziehungs- und Personalpolitik zu diskriminieren, da sie sich innerhalb ihrer Institutionen nicht an staatlich erlassene Antidiskriminierungsgesetze halten müssen.
In Osteuropa lässt sich die Meinung der Kirche zu diesem Themenfeld gut mit einem gesamtgesellschaftlichen Unbehagen gegenüber LGBTI in Einklang bringen. Ein Umdenken der Kirche bzw. ein Zurückdrängen ihrer Deutungshoheit in moralischen Fragen würde ein offeneres Verhältnis zwischen christlicher Mehrheitsgesellschaft und LGBTI vereinfachen. Diese Vormachtstellung in moralischen Fragen würde eine weitestgehende Abkopplung zwischen Kirche und Staat erforderlich machen, so dass Religion zur Privatsache reduziert würde. Zugleich sollte jedoch bedacht werden, dass die Kirche keine absolut hegemoniale Stellung in diesen Ländern besitzt, sondern mit ihren Äußerungen im Wechselspiel mit der Bevölkerung Anklang und Bestätigung findet.
Homophobie ist zugleich eng mit einer nationalistischen Abgrenzungsbewegung nach innen sowie nach außen verbunden. Gelten je nach Land beispielsweise Roma oder Jüdinnen und Juden als äußere Feinde, wird die Rolle der inneren Feinde hingegen Lesben und Schwulen zugewiesen. Da die Nation auf Fortpflanzung angewiesen sei, gelten sie aufgrund ihrer vermeintlich fehlenden Reproduktionsfähigkeit als ursächlich für das Aussterben des eigenen Volkes. Dies geht zugleich mit der Propagierung traditionell heterosexueller sowie patriarchaler Familienmodelle samt strikter Geschlechterrollen einher. Dementsprechend soll zugleich weibliche Sexualität u.a. im Hinblick auf Geburtenkontrolle, beispielsweise in Form von strikten Abtreibungsgesetzen reguliert werden. Der Wunsch nach einer starken und wachsenden Nation schlägt sich zum Beispiel im homosexuellenfeindlichen Gesetzentwurf in der Ukraine nieder, welcher u.a. explizit die Zielsetzung hat die angebliche demographische Krise innerhalb des Landes zu beheben. Rassismus, Antisemitismus und Homophobie sind somit direkt an die Vorstellung einer reinen und wachsenden Nation gekoppelt. Die Argumentationsmuster gleichen sich in Russland, der Ukraine oder Armenien. Homosexualität wird als ein von außen importiertes Phänomen dargestellt, welches dem eigenen nationalen Wesen und der damit verbundenen Mentalität nicht entspricht. Der offen ausgelebte Hass gegenüber Homosexuellen wird somit unter dem Banner der Reinigung und Befreiung der Nation geführt und so öffentlich legitimiert. Zudem ermöglicht die Einführung homophober Gesetze den einzelnen Regierungen beispielsweise von sozioökonomischen Problemen abzulenken und die Reputation der Polizei in den Augen der Bevölkerung zu erhöhen.
Sub-Sahara Afrika
Innerhalb des afrikanischen Kontinents ist die Situation für LGBTI ebenfalls prekär, in 36 afrikanischen Staaten ist Homosexualität illegal, in wenigen Staaten, wie beispielsweise Mauretanien und dem Sudan, gilt sogar die Todesstrafe für homosexuelle Akte. Laut Human Rights Watch agiert kein Land südlich der Sahara härter gegen Homosexuelle, was die Zahl der Verurteilungen angeht, als Kamerun. Dort kann Homosexualität mit bis zu 5 Jahren Gefängnis bestraft werden, wobei dieser Staat mehr LGBTI strafrechtlich verfolgt als andere Länder. Auch in Kamerun gilt, dass wer sich gegen die Zustände zur Wehr setzt, um sein Leben fürchten muss. Der Aktivist Eric Ohena Lembembe wurde Anfang Juli 2013 brutal getötet, indem ihm Genick und Gliedmaßen gebrochen, sowie Gesicht und Körper mit heißem Eisen verbrannt wurden. Die Polizei sicherte keine Beweise und es ist davon auszugehen, dass auch dieser Fall, wie so viele andere, nicht aufgeklärt werden wird.
Das überaus rigide und brutale Vorgehen gegenüber Homosexualität wird oft durch eine Kombination von Argumenten gerechtfertigt, die sich aus der Sphäre des Rechts, der Kultur und der Religion speisen.
Hinsichtlich des Rechts ist es innerhalb zahlreicher afrikanischer Staaten in den letzten Jahrzehnten zunehmend zu einer Verschärfung der Gesetzgebung im Bezug auf Homosexualität gekommen. Neben Haftstrafen droht in manchen Ländern sogar die Todesstrafe, zugleich sehen manche Gesetzesentwürfe sowohl Haftstrafen für das »Werben« für Homosexualität vor als auch eine Anzeigepflicht. Diese Verschärfungen finden in einer Zeit statt, in welcher LGBTI vermehrt öffentlich sichtbar auftreten und Debatten über ihre Belange anstoßen. Gesetzesänderungen stellen u.a. eine Reaktion von PolitikerInnen und Regierungen auf das zunehmend offenere Eintreten gegen Verfolgung und Diskriminierung dar. Als Beispiel kann Nigeria fungieren, in welchem gleichgeschlechtlicher Geschlechtsverkehr oder das Eingehen einer Homo-Ehe im Ausland langjährige Haftstrafen nach sich ziehen kann. Zugleich gilt im islamischen Norden seit 2000 die Scharia, welche Homosexuellen mit der Todesstrafe durch Steinigung droht.2 Immer wieder treten afrikanische PolitikerInnen mit homophoben Äußerungen an die Öffentlichkeit. Homosexuelle fungieren innerhalb politischer Debatten auch hier als einfache Gegner_innen für populistische Kampagnen, bei welchen PolitikerInnen sicher sein können, dass sie die Mehrheit der Bevölkerung und die religiösen Führer auf ihrer Seite haben. Die kollektive Ablehnung von LGBTI bietet zugleich die Möglichkeit einer nationalen Vergemeinschaftung. Dies geschieht über die identitätsstiftende Ausgrenzung und Verfolgung. Ähnlich wie in den osteuropäischen Staaten gelten LGBTI als innere vom Westen beeinflusste Feinde, welche durch ihre angebliche Fortpflanzungsunfähigkeit das nationale Kollektiv schwächen und der Reinheit der Nation im Wege stehen. Für PolitikerInnen sind Gesetzesverschärfungen hier einfacher zu erreichen, als die wirklichen Probleme innerhalb der häufig ökonomisch erfolglosen Staaten zu lösen. Der Vorwurf, dass die politische Opposition Homosexualität propagieren würde, stellt in diesem Kontext zudem einen einfachen Weg dar, um deren Einfluss und Integrität zu untergraben und die eigene Herrschaftsposition zu festigen. Problematisch wird es für die Regierungen immer dann, wenn westliche Geberländer drohen, Zuwendungen zu streichen, sollten die homosexuellenfeindlichen Gesetze eingeführt oder angewandt werden. Erst durch Druck westlicher Geberländer wurde ein schwules Paar, welches in Malawi zu 14 Jahren Haft mit schwerer Arbeit für das Abhalten einer Verlobungszeremonie verurteilt wurde, begnadigt. Auf diese Weise wurden zwar einige der striktesten Gesetzesentwürfe verhindert, jedoch wird diese Art von Einmischung als eine Form des Neokolonialismus wahrgenommen und dient PolitikerInnen zur nationalistischen Stimmungsmache gegen den »dekadenten« Westen. Da viele Staaten nach wie vor abhängig von finanzieller Hilfe durch den übermächtigen Norden sind, fungiert das Thema Homosexualität als Mittel kultureller Abgrenzung. Häufig führt dies dazu, dass LGBTI auch noch als Hindernis für das Allgemeinwohl angesehen werden, da sie verhindern würden, dass internationale Hilfsgelder für Bildungs- und Gesundheitsangebote in das Land fließen. So wichtig internationale Hilfe und Druck auf die dortigen Regierungen auch ist, sie kann kein Ersatz für lokale Organisationsbildung und Emanzipationsbestrebungen sein.
Homosexualität wird im Allgemeinen als »unafrikanisch« und »unnatürlich« diskreditiert. Vielmehr handele es sich um eine säkulare westliche Lebensform, sowie einen Import des Kolonialismus, wobei nie erklärt wird, wie dieser Import stattgefunden haben soll. Es bleibt festzuhalten, dass sowohl Männer als auch Frauen auf dem afrikanischen Kontinent schon immer gleichgeschlechtlichen Sex hatten – bis hin zu festen Beziehungen – und dies bis in die Zeit vor der Kolonialisierung weit verbreitet und akzeptiert war. Jedoch führte dies bis zur Zeit des Kolonialismus nicht zu homosexuellen Identitätskonstruktionen, welche diejenigen, welche sich in gleichgeschlechtlichen Beziehungen befanden als pervers und abweichend kennzeichneten. Kolonialismus und religiöse Lehren veränderten dies und fungierten als Grundlage für die nunmehr vorherrschende Unterdrückung und Verfolgung. Gerade die Kolonialmächte begannen mittels Antisodomiegesetzen gleichgeschlechtliche Praktiken zu regulieren sowie strafrechtlich zu verfolgen und somit eine Angleichung an westliche Werte zu erzwingen. Gesetze aus dieser Zeit sind zum Teil immer noch in Kraft. Die gesellschaftliche und staatliche Verfolgung macht sich im Unterschied zu früher jedoch nicht mehr an Praktiken, sondern an der sexuellen Orientierung als Identität fest. Ebenso sind die Religionen (Christentum und Islam) auf deren Basis nunmehr die als »antikolonial« etikettierte Verfolgung gerechtfertigt wird, ebenfalls recht unafrikanisch und stellen vielmehr in gleicherweise einen Import dar. Einen genuin westlichen Import stellt hingegen ein verändertes Selbstverständnis dar, welches mit einem offenen aktivistischen Auftreten von LGBTI als sozialer und politischer Gruppe einhergeht, die eigene Rechte aufgrund ihrer sexuellen Identität fordert.
Islamische und christliche ReligionsvertreterInnen arbeiten eng zusammen was die Verfolgung von LGBTI betrifft. Dementsprechend ließ die Anglikanische Kirche im Zusammenhang mit einem Anhörungsverfahren hinsichtlich Gesetzesverschärfungen verlautbaren, dass gleichgeschlechtliche Partnerschaften eine Abartigkeit seien, welche dazu geeignet sei, den sozialen und kulturellen Holocaust im Land zu betreiben. Homosexualität widerspreche gültigen Moralvorstellungen, sei sündhaft und wird oftmals mit Okkultismus in Verbindung gebracht. LGBTI seien demnach, in Anlehnung an evangelikale Lehren, von Dämonen besessen, welche durch Gebete ausgetrieben werden könnten. Homosexuelle gelten als krank und sollten »geheilt« werden. Nicht nur schwule Männer werden Opfer von Gewalt, sondern im zunehmenden Maße kommt es ebenfalls zu Gewalt gegen Lesben und Transpersonen. Sogenanntes »corrective rape«, sprich Vergewaltigungen und Misshandlungen, sollen dazu dienen, die Opfer von ihrer Homosexualität zu »heilen«, wobei diese Angriffe mitunter als »Übergangsritus« bagatellisiert und legitimiert werden.3 Mittels medialer Hetze werden immer wieder Gerüchte in Umlauf gebracht, welche LGBTI als vom Westen bezahlt darstellen, damit diese die Ausbreitung von HIV und AIDS forcieren. Überdies wird u.a. vor einer Weltverschwörung der Homosexuellen gewarnt, welche die Macht an sich reißen wollten. Zugleich wird immer wieder behauptet, dass LGBTI junge Kinder für homosexuelle Praktiken rekrutieren und mit HIV infizieren wollen, was zu verhindern sei. Es überrascht folglich kaum, dass es immer wieder zu Hetzjagden auf Homosexuelle und solche, die dafür gehalten werden, kommt. Im Juni 2013 ereignete sich eine Serie von brutalen Hassverbrechen, die sich gegen Homosexuelle richtete. Anlass war die Veröffentlichung einer Studie über Homosexualität und das Anheizen der Stimmung durch religiöse Gruppen in Kenia. Dabei wurden zahlreiche Männer mit Macheten und Hämmern attackiert, einige schwer verletzt, wiederum andere überlebten die Angriffe nicht. Die Taten wurden u.a. anderem von Bürgerwehren ausgeführt, welche die Städte von Sexarbeiter_innen, insbesondere männlichen, reinigen wollten.
Oftmals wird die Verfolgung von LGBTI mit dem Schutz der traditionellen afrikanischen Familie begründet, welche angeblich durch nichtheterosexuelle Beziehungen in Gefahr gebracht werden würde. Sexualität und Reproduktion werden in vielen afrikanischen Gesellschaften in eins gesetzt; Fruchtbarkeit ist eng mit der Identität als Frau oder Mann verbunden; Kinderlosigkeit gilt oft als Tragödie. In folge dessen erscheint Sexualität, welche von der Zeugung abgekoppelt ist, als »unnatürlich«. Im Einklang mit dieser Vorstellung erklärte beispielsweise Simbabwes Diktator Robert Mugabe, dass Homosexuelle hinter Gitter gebracht werden sollten, da sie nicht fähig seien, Kinder zu zeugen und zu gebären. Durch sie würde die Menschheit degenerieren. Im Jahre 2006 wurde durch seine Regierung ein Gesetz erlassen. Sodomie wird darin als ein jeglicher Kontakt zwischen zwei Männern, welcher von einer vernünftigen Person als unanständig erachtet wird, definiert. Auf diese Weise können nunmehr Handlungen wie Umarmungen, Küsse oder Händchenhalten mit schweren Strafen geahndet werden.
Obgleich sich die Ablehnung von Homosexualität oftmals als antikolonialer Impuls geriert, ist festzuhalten, dass es u.a. von homosexuellenfeindlichen US-Evangelikalen zu massiver finanzieller und politischer Einflussnahme auf die afrikanischen Gesellschaften kommt, die jedoch zu verschleiern versucht wird. Dies wird u.a. durch die Eröffnung und Finanzierung von Bibelschulen und lokalen Gemeinden mit evangelikaler Ausrichtung samt afrikanischer Belegschaft erreicht. Evangelikale Prediger füllen riesige Plätze und Stadien. Zugleich wird ihre reaktionäre Botschaft via Fernsehen und Radio über den Kontinent verbreitet. Durch Einflussnahme auf lokale religiöse Führer, ParlamentarierInnen, Polizei, LehrerInnen- und Elternvereinigungen soll erreicht werden, dass innerhalb der einzelnen afrikanischen Gesellschaften Homosexualität nicht toleriert wird. Auf diesem Wege sollen beispielsweise Gesetzesverschärfungen erreicht werden, an welchen oftmals der westliche Einfluss erkennbar wird, da sie ihre Motivation aus westlichen und nicht aus afrikanischen Gegebenheiten beziehen. Dies bedeutet, dass es zu Verboten von gleichgeschlechtlichen Ehen und Adoptionen in Staaten, in welchen noch nicht einmal die Kriminalisierung von Homosexualität abgeschafft worden ist, kommt. Da innerhalb der USA mittlerweile offen über die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren diskutiert und die homosexuelle Emanzipation weiter vorangetrieben wird, nutzen diese Organisationen ihren Einfluss, um zumindest in afrikanischen Staaten ihren Kampf gegen Emanzipationsbestrebungen zu führen. Die fundamentalistischen afrikanischen Geistlichen wiederum treten in den USA als Repräsentanten eines wachsenden Zentrums des Christentums auf, um ihre homosexuellenfeindlichen KollegInnen in den USA bei innerkirchlichen Auseinandersetzungen gegen liberalere Gläubige zu unterstützen. Jedoch ist die Einflussnahme nicht auf evangelikale Gruppierungen beschränkt, auch die katholische Kirche und islamische Gruppierungen versuchen, traditionelle Lebensentwürfe aufrecht zu erhalten, wobei die reaktionäre Lobbyarbeit sich auch auf heterosexuelle Frauen ausdehnt. So wird versucht Abtreibungen, welche in den meisten Staaten bis auf wenige Ausnahmefälle verboten sind und Frauen zu gefährlichen und illegalen Schwangerschaftsabbrüchen zwingt, weiter zu tabuisieren und zu kriminalisieren. Bei Verfassungsänderungen z.B. in Kenia, wurde so erreicht, dass das menschliche Leben rechtlich nunmehr mit der Schwangerschaft beginne. Zugleich wird Verhütung abgelehnt und ebenfalls als westlicher Import dargestellt, welcher den afrikanischen Kontinent schwächen soll.
Das massive Vorgehen gegen Homosexualität findet zugleich in Umbruchszeiten statt, in welchen es zu einer zunehmenden Urbanisierung samt Individualisierungstendenzen und einem Wandel der Geschlechterverhältnisse kommt. Frauen streben sowohl in der privaten als auch öffentlichen Sphäre eine gleichberechtigte und selbstbestimmte Rolle an. Dies geschieht beispielsweise, indem sie sich in Netzwerken zusammenschließen, um gegen Ungleichbehandlung vorzugehen und sich gegenseitig wirtschaftlich zu unterstützen.
Zudem befinden sich alte Familienstrukturen im Wandel, wodurch die männliche Position und Überlegenheit gegenüber Frauen in Gefahr gerät. Eine sichtbare homosexuelle Gruppe innerhalb der Gesellschaft macht es zudem für die heterosexuellen Männer notwendig, ihre Stellung in sozialen Beziehungen und Hierarchien zu behaupten. Das Verständnis von Männlichkeit ist auch hier gekoppelt an Macht, Einfluss und materiellem Reichtum – Erfolg und Anerkennung in den Städten zu erreichen bleibt für die meisten nur eine nicht realisierbare Wunschvorstellung. Zugleich findet eine Glorifizierung von Maskulinität statt, welche alles, was als unmännlich wahrgenommen wird, abwertet und zugleich Frauen als sexuell verfügbare Objekte definiert. Eine Begründung für die »corrective rapes« an lesbischen Frauen ist die Wiederherstellung männlicher Autorität über Frauen, da diese sich wie Männer benehmen und der Objektivierung durch die männlichen Verfügungsgewalt verweigern würden. Der Hass auf Homosexuelle ist nicht nur auf das sichtbare Auftreten Homosexueller selbst bezogen, sondern zugleich eng mit Geschlechterfragen verbunden. Patriarchale heterosexuelle Beziehungsmodelle sollen beibehalten und die Position heterosexueller Männer in der Gesellschaft gefestigt werden.
Die Meisten Homosexuellen verstecken ihr Begehren bzw. ihre Identität, da ein »coming out« meist gleichbedeutend mit sozialem Selbstmord ist. Geben sich Homosexuelle offen zu erkennen, droht ihnen der Rauswurf aus Wohnung, Job oder Schule. Überdies werden sie häufig von ihren Familien verstoßen.4 Einige reagieren, indem sie wegziehen oder ganz aus dem Land flüchten, andere bauen eigene Schutzgemeinschaften außerhalb der Gemeinden auf. Viele versuchen ihre Sexualität geheim zu halten, indem sie vorgeben heterosexuell zu sein. Diejenigen die dies versuchen, werden oftmals erpresst oder mittels medialer Outingaktionen öffentlich kenntlich gemacht. Zudem droht die, zurzeit in vielen Staaten diskutierte, Anzeigepflicht für Homosexualität den Druck auf die Betroffenen noch zu erhöhen.
Naher Osten und Nordafrika
Dass die massive Verfolgung nicht auf Subsahara-Afrika beschränkt ist, zeigt ein kurzer Blick auf den Nahen Osten und Nordafrika. Im Iran, Saudi Arabien und dem Jemen existiert die Todesstrafe für Homosexualität. Die oftmals gewalttätige Ablehnung von Homosexuellen erscheint auch innerhalb dieser Region als ein identitätsstiftendes Element. Demnach kommt die International Lesbian Gay Bisexual Trans and Intersex Association (ILGA) zu folgendem Schluss: »Sadly, violent homophobia seems to be the only issue that unites all the majority and minority religions in the MENA region.«5 Nicht nur von staatlicher Seite droht LGBTI Gefahr. So machen auch islamistische Gruppen Jagd auf vermeintlich Homosexuelle. Im Jemen geht der Terror von Gruppen wie der Ansar Al Sharia aus, die Al-Qaida nahestehen. Dabei können sie sicher sein, dass ihre Taten von staatlicher Seite nicht geahndet werden. Auch innerhalb dieser Region waren homosexuelle Praktiken in der Vergangenheit zu einem größeren Maße akzeptiert, bevor westliche Identitätskonstruktionen übernommen wurden. Homosexualität gilt nunmehr als dekadentes westliches Phänomen, welches durch die Religion verboten wird. Die Existenz von Homosexualität wird als eine Gefahr für den heterosexuellen Geschlechterdualismus, sowie für die soziale Ordnung im Allgemeinen wahrgenommen. Es stelle die Restriktionen, welche Sexualität mit Fortpflanzung und Ehe in eins setzen, in Frage. Lustgewinn und Genuss sollen im Verhältnis zur Reproduktionsfunktion keine Rolle spielen.
Zugleich werden in vielen dieser Länder öffentliche Treffen Homosexueller von der Polizei unterbunden, sodass das Internet ein zentrales Medium im Hinblick auf Kommunikation und Organisation darstellt. Online-Aktivismus z.B. in Form von Blogs, in denen eigene Alltagserfahrungen geschildert werden, ist besonders in den Staaten mit repressivsten Regimen, wie den Golfstaaten, mittlerweile für den Austausch das einzige Mittel. Ein offenes Ausleben der Sexualität in der Öffentlichkeit ist kaum möglich. Vielmehr müssen LGBTI oftmals ein Doppelleben führen und können sich anderen nur via Internet offenbaren.
Letzter Ausweg: Flucht
Aktivist_innen, welche sich für eine Verbesserung der Lage von LGBTI einsetzen, bleibt nicht selten nach Jahren der Einschüchterung, Gewaltandrohung und -anwendung nur noch die Flucht. Ebenso geht es in vielen Staaten denjenigen, welche ihre Sexualität bzw. Identität einfach nur offen und ohne Gefahr ausleben wollen. Viele flüchten nicht nur vor staatlicher Verfolgung, sondern vielmehr vor der Bedrohung durch Verwandte, Gemeindemitglieder, Milizen oder schlicht vor der Gewalt des homophoben Mobs. Die Zahl der LGBTI, welche sich u.a. aufgrund der Verschärfung von Gesetzen zur Flucht entschließen, steigt. Der Umgang des Westens mit diesen Menschen ist überaus kritikwürdig.
Über die Anzahl der Menschen die aufgrund ihrer Geschlechtsidentität oder ihres Begehrens auf der Flucht vor Gewalt und Verfolgung sind, ist wenig bekannt. Dies liegt u.a. daran, dass die Meisten sich auch während ihrer Flucht weiterhin verstecken müssen. Eine der wenigen NGOs, die zu diesem Thema arbeitet, ist ORAM (Organization for Refuge, Asylum and Migration). In ihrer Studie gehen sie davon aus, dass ungefähr 2,5% der Weltbevölkerung (175 Millionen Menschen) in einer Umgebung leben, in welcher sie Verfolgung ausgesetzt wären, wenn ihre sexuelle Orientierung oder ihre Geschlechtsidentität bekannt würde. Von diesen sind jedoch nur ca. 1% »geoutet«, ca. 17500 schaffen es schließlich zu fliehen und ca. 2500 Menschen erhalten im Endeffekt rechtlichen Schutz aufgrund ihres LGBTI-Status zum Beispiel in Form von Asyl. Die meisten LGBTI verlassen ihr Land nicht, da eine Flucht in Nachbarländer wenig erfolgversprechend ist, da auch dort meist eine ähnliche Rechtslage und die Gefahr der weiteren Verfolgung herrscht. Die gefährliche Flucht nach Europa oder Nordamerika ist sehr zeitaufwendig, teuer. Außerdem ist nicht sicher, ob beispielsweise einem Antrag auf Asyl stattgegeben würde. LGBTI-Flüchtende sind im Verhältnis zu anderen Menschen auf der Flucht in besonderem Maße schutzlos. Dies liegt zum einen daran, dass sie oftmals ohne die Unterstützung ihrer eigenen Familie und der hiesigen Gemeinschaft fliehen müssen und zugleich während ihrer Flucht oftmals weiter sozialen Ausschluss, Diskriminierung und Gewalt in den Transit- bzw. Asylländern ertragen müssen. Zu den widrigen Umständen der Flucht kommt zudem in vielen Fällen noch eine schmerzhafte Auseinandersetzung mit sich selbst hinzu. Häufig schweigen LGBTI auf der Flucht über ihr Begehren oder ihre Geschlechtsidentität und dies selbst an Orten, wo ihnen keine offene Feindschaft entgegenschlägt. Angst- oder Schamgefühle und auch die Unfähigkeit die eigene Identität bzw. das eigene Begehren zu benennen, lassen sie die eigentlichen Gründe ihrer Flucht verschweigen. Anonymität und Isolation sind für sie während der Flucht die sicherste Lösung. Wenn es überhaupt zu einem »coming out« kommt, dann eher in LGBTI-toleranten Staaten. In Transitländern hingegen verstecken sich LGBTI zumeist weiterhin. Gehen die Geflüchteten trotzdem offen mit ihrer Sexualität bzw. Identität um, droht vielen Marginalisierung und ein Ausschluss von Schutzmaßnahmen. Zudem sind sie dabei häufig Bedrohungen und gewaltsamen Schikanen seitens der lokalen Bevölkerung aber auch innerhalb der Geflüchtetengruppen ausgesetzt.
NGOs sind sich zumeist der Existenz von LGBTI in der Gruppe der Menschen, die sie betreuen, nicht bewusst. Diese nicht auf LGBTI zugeschnittenen Handlungsweisen verhindern ein mögliches »coming out« und schmälern die Chancen auf Asyl, da oftmals die sexuelle Orientierung bzw. Geschlechtsidentität substantiell für einen gesicherten rechtlichen Status wären. Zumal sich die Selbstdefinitionen der Geflüchteten selten mit westlichen Definitionen von Homosexualität übersetzen lassen. Dass diese mangelnde Einbeziehung von LGBTI-Perspektiven nicht zufällig ist, zeigt eine Umfrage von ORAM in welcher beispielsweise 25% der NGOs angaben, moralische Zweifel an gleichgeschlechtlichen Beziehungen zu haben. Beispielsweise berichten schwule iranische Geflüchtete davon, dass sie aufgrund langer Haare und Make-Up als Schwule erkannt wurden und in folge dessen von einer lokalen Hilfsorganisation in der Türkei nicht mit Essen versorgt wurden, da sie unrein seien. Schaffen es die wenigen LGBTI doch in Länder, welche ihnen Schutz gewähren könnten, hört die Solidarität spätestens bei der Frage nach einem dauerhaften Aufenthaltsstatus auf. So werden Asylsuchende, unter ihnen auch LGBTI, welche Australien mittels Boot ansteuern, nicht mehr im Land selbst aufgenommen, sondern nach Papua Neuguinea abgeschoben – einem Land in welchem Homosexualität mit bis zu 14 Jahren Haft bestraft wird.
Zwar wird zur Zeit in der EU darüber diskutiert, ob Homosexualität EU-weit als Fluchtgrund anerkannt werden kann. Dabei stelle das reine Verbot homosexueller Handlungen jedoch noch keine Verfolgung als solche dar. Die aktuelle Politik der EU zeigt vielmehr die paradoxe Angst der Regierungen, welche sich vor einem imaginierten massiven Zustrom von Menschen fürchten, welche fälschlicherweise angeben, dass sie aufgrund ihres LGBTI-seins Asyl benötigten. Zwar geben sich nur sehr wenige LGBTI überhaupt offen als solche zu erkennen, trotzdem werden die Bewerber_innen, um unrechtmäßige Anträge abzuweisen, gründlich unter die Lupe genommen. Da in vielen Ländern ein Nachweis darüber verlangt wird, der natürlich kaum zu erbringen ist, wird oftmals mit kruden Methoden und peinlichen Befragungen versucht, angeblich ungerechtfertigte Anträge abzuweisen. Dies geschieht oftmals entlang homophober Klischees und mittels Methoden, welche im Herkunftsland mitunter zur staatlichen Verfolgung eingesetzt werden könnten. Ist ein Mann nicht »tuntig« genug oder eine Lesbe nicht maskulin wird den Antragssteller_innen oftmals nicht geglaubt. Ähnliches gilt für Menschen, die verheiratet sind oder Kinder haben. Dass eine Ehe u.a. Schutz vor Verfolgung in Form von Tarnung bieten kann, wird dabei nicht berücksichtigt. In Tschechien wurden Asylsuchenden bis vor kurzem pornographische Videos vorgespielt, um anhand der Erektion physisch zu messen, ob sie auch wirklich schwul seien. Nur wenige erhalten in folge dieser Verfahren einen legalen Status, viele werden zur Ausreise aufgefordert, – mitunter in Länder in denen ihnen abermals Verfolgung droht. Viele werden in die Illegalität gezwungen, welche für LGBTI aufgrund des doppelten Versteckens besonders belastend ist.
Öffentlich wird zwar über die Möglichkeit von Asyl für Homosexuelle aus Russland diskutiert, dass es weltweit viele Länder gibt in denen wesentlich härtere Strafen gelten, findet jedoch in den Reaktionen kaum Erwähnung. Die grundsätzliche Forderung, allen Menschen, welche vor Verfolgung Schutz suchen Asyl zu gewähren, wird selbstverständlich kaum vorgebracht.
Alles in allem sollte dieser Überblick gezeigt haben, dass es noch ein weiter Weg zur sexuellen Selbstbestimmung in Form eines offenen Auslebens der eigenen Sexualität oder Geschlechtsidentität ist. Selbst in Regionen, in welchen keine Kriminalisierung mehr vorherrscht und rechtliche Gleichstellung angestrebt wird, existiert nach wie vor gesellschaftliche Diskriminierung samt gefühlten oder realen Gefahren mit welchen sich LGBTI auseinander zu setzen haben. Diese Lebensrealität gilt es zu thematisieren statt dem Irrglauben anzuhängen, dass mit rechtlicher Gleichstellung alles erreicht wäre. Zugleich sollte sich die internationale Kritik nicht nur alleinig auf die Politik Russlands beschränken, weil dadurch die noch menschenunwürdigeren Zustände in vielen Regionen der Welt außer Acht gelassen werden. Erschöpft sich diese Intervention jedoch nur in folgenlosen Appellen und hilft nicht bei der Stärkung lokaler Strukturen bzw. bietet denjenigen, welche ihr Land verlassen müssen, Schutz, bleibt die westliche Unterstützung nur ein Lippenbekenntnis.
ANMERKUNGEN
1 LGBTI steht als Akronym für Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, und/oder Intersex. Wobei sich dieser Text in der Hauptsache auf die Frage nach der Emanzipation und Verfolgung von Homosexuellen bezieht, da diese innerhalb der weltweiten gesellschaftlichen Auseinandersetzung zurzeit zentral ist. Homosexualität wird in den Debatten und Berichten oftmals zugleich synonym und oftmals undifferenziert mit bspw. nicht »geschlechtskonformen« Verhalten wahrgenommen und verstanden, was eine trennscharfe Unterscheidung zwischen einzelnen Phänomen sowie der Grundlage und Motivation der Verfolgung verhindert.
2 Seit 2009 wird zudem in Uganda über die sogenannte »Anti-Homosexuality-Bill« debattiert, die Auseinandersetzung darum gipfelte u.a. in dem öffentlichen Outing von 100 Lesben und Schwulen unter der Überschrift »Hang them! They are after your kids« durch die Zeitung Rolling Stone (nicht identisch mit dem Pop-Magazin) und dem brutalen Mord an dem Aktivisten David Kato. Für eine genauere Auseinandersetzung mit der Lage in Uganda sei auf den Artikel von Christian Jakob in
Extrablatt Nr. 7 verwiesen.
3 Eine Umfrage des »Forum for the Empowerment of Women« fand bei einer Befragung von 46 Lesben im Johannesburger Townships heraus, dass 41 Prozent von ihnen vergewaltigt worden waren. Zudem wurden seit 1998 Mindestens 31 Lesben in Südafrika ermordet. Msibi, Thabo. 2011. The lies we have been told: on (homo) sexuality in Africa. In: Africa Today 58: S. 54-77: 61.
4 Eine von der »Kenya Human Rights Commission« im Jahre 2011 erstellte Studie ergab, dass nur 18 Prozent der LGBTI ihre sexuelle Orientierung oder Identität ihren Familien offenbaren, 89 Prozent von diesen wurden von ihren Familien verstoßen. Kenya Human Rights Commission. 2011. The outlawed amongst us. http://www.khrc.or.ke/resources/publications/cat_view/37-downloads/40-equality-and-anti-discrimination.html (Zugegriffen 12.8.2013): 24 f.
5 ILGA (International Lesbian Gay Bisexual Trans and Intersex Association). 2013. State-sponsored homophobia: A world survey of laws: Criminalisation, protection and recognition of same-sex love. http://old.ilga.org/Statehomophobia/ILGA_State_Sponsored_Homophobia_2013.pdf (Zugegriffen 12.8.2013): 13.
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