Wie mit dem Jenseits das Diesseits verewigt wird
Zur Ideologie des Todes in der Kinder- und Jugendliteratur
Zu bestimmen, was Kinder- und Jugendliteratur überhaupt ist und wie sie sich von ›erwachsener‹ Literatur abgrenzt, stellt bereits vor Probleme: Hängt die Zuordnung zur Kinder- und Jugendliteratur ab von den intendierten AdressatInnen der AutorInnen oder der Vermarktung, von den KonsumentInnen oder von spezifischen Eigenschaften der Literatur? Diese Frage kann in dieser Oder-Variante nicht eindeutig beantwortet werden, denn in manchen Fällen können diese verschiedenen Aspekte auseinanderfallen, beispielsweise wenn etwa Charles Dickens’ Oliver Twist, Miguel de Cervantes Don Quijote und Daniel Defoes Robinson Crusoe vom Arena Verlag als Kinderbuchklassiker vermarktet werden. Spezifisch an Kinderliteratur ist allerdings, dass sie ständig mit Debatten konfrontiert ist, in denen sich ein Widerstreit zwischen pädagogischen und ästhetischen Aspekten finden lässt, von denen ›Erwachsenenliteratur‹ in dieser Form in der Regel verschont bleibt. Kinder- und Jugendliteratur wird in der Literaturwissenschaft nicht selten als defizitär wahrgenommen, als noch nicht erwachsene, einfachere Literatur. Dafür hat die Erziehungswissenschaft ein anderes Interesse an der Kinder- und Jugendliteratur: Der Bestimmung nach sind diejenigen, die sie vornehmlich lesen, noch im Prozess des Aufwachsens. Die Kinder- und Jugendliteratur wird zum Teil als Erziehungsmittel eingesetzt und mit pädagogischen Intentionen geschrieben und Kinderbücher gelten auch dann als die ‹heimlichen Erzieher‹1, wenn dies nicht explizit ersichtlich ist. Der erziehungswissenschaftlichen Perspektive geht es daher nicht zuletzt um die Wirkung der Literatur: Kinder- und Jugendliteratur gilt mal als bildend, mal wird sie als schädlicher Einfluss betrachtet, sowohl von konservativer Seite in den Debatten um Schmutz- und Schundliteratur und der ihnen inhärenten Vorstellung, Romane lesen verderbe die Jugend, als auch in der in den 60er Jahren in der deutschen Kinder- und Jugendliteraturforschung etablierten ideologiekritischen Perspektive2. Diese diente nicht nur der wissenschaftlichen Analyse und kritischen Reflexion der affirmativen und repressiven Botschaften der Kinder- und Jugendliteratur, sie fand auch Eingang in die pädagogische Praxis: Es wurden etwa Konzepte zur ideologiekritischen Auseinandersetzung im Deutschunterricht konzipiert3, die zum Teil versuchten, die von Theodor W. Adorno geforderte »Erziehung des ›Madigmachens‹« umzusetzen4 mit dem Anspruch, dem unreflektierten ideologischen Transfer in der pädagogischen Praxis einen Strich durch die Rechnung zu machen. Die Frage nach der Wirkung von Kinder- und Jugendliteratur impliziert allerdings verschiedene Widersprüche: Zum einen schreibt die problematische Trennung zwischen Ideologiekritik und Ästhetik den alten Konflikt der Kinder- und Jugendliteratur zwischen pädagogischem Mittel und Kunst fort. Zum anderen stellt sich die Frage, was zu analysieren sei, die Rezeption oder der Text5: Zwar gibt es immer einen Überschuss in der Phantasie der LeserInnen, der über den geschriebenen Text hinausweist, doch ist es der Text, der diese anregt. Zugleich sind die ideologischen Konstellationen populärer Kinder- und Jugendliteratur eine Art Indikator für den Zeitgeist: Wenn etwa J.K. Rowlings von 1997 bis 2007 erschienene Harry Potter Reihe in über 65 Sprachen übersetzt und in über 200 Ländern und Gebieten verkauft (vgl. Bryfonski 11) wurde und die Verkaufszahlen bereits 2008 bei 400 Millionen lagen, lässt sich davon ausgehen, dass die impliziten Ideologien anschlussfähig sind.
Der Tod in der Kinder- und Jugendliteratur
Der Tod ist eines der zentralen Themen der Kinder- und Jugendliteratur. So sterben nicht selten nahestehende Bezugspersonen der Hauptfiguren und in einigen Fällen – wie in den später ausführlicher behandelten Büchern von Johanna Spyri – auch diese selber. Auffällig viele ihrer ProtagonistInnen sind Waisen oder Halbwaisen. Zum Teil dient das Fehlen der Eltern einer leichteren Hand beim Umgehen von familiären Komplikationen (vgl. Spinner 114) oder auch der Surrealität der Figuren, dem Ausblenden sexueller Verhältnisse (beispielsweise bei den notorisch elternlosen Comicfiguren Tick, Trick und Track), der Installation einer bestimmten Position der Figur6 oder dazu, die ProtagonistInnen durch den Tod der Eltern aus ihrer gewohnten und beschränkten Umgebung zu reißen und ihnen neue Herausforderungen zuteil werden zu lassen. Vor allem aber wird deutlich, dass Verlust durch den Tod und die eigene Sterblichkeit universelle Erfahrungen sind, die in solchen literarischen Artefakten bearbeitet werden. Auch die Darstellung des Todes erfüllt in der Kinder- und Jugendliteratur durchaus pädagogische Funktionen: Von der ultimativen Sanktion und latenten Rache der Kinder wie im Struwwelpeter bis hin zu einer – seit den 80er Jahren etablierten und in den letzten Jahren rasant anwachsenden –
Reihe von Büchern, die dazu verwendet werden oder dafür gedacht sind, es den Erwachsenen zu erleichtern, Kinder bei Trauerprozessen zu begleiten und ihnen Fragen zum Tod zu beantworten. Zu diesen zählt neben Bilderbüchern wie Hat Opa einen Anzug an? von Jacky Gleich und Amelie Fried auch das im Folgenden noch behandelte Abschied von Papa.
Dass der Tod – obzwar er als Naturgewalt wirkt – in seiner Gestalt alles andere als ahistorisch ist, sondern verquickt mit den gesellschaftlichen Verhältnissen, wird häufig in der Kinderliteratur ebenso thematisiert wie in der Jugendliteratur: Beispielsweise, indem in dem Bilderbuch Die besten Beerdigungen der Welt von Eva Eriksson und Ulf Nilsson das geschäftstüchtige Gebaren der Beerdigungsinstitute aufs Korn genommen wird, oder wenn in Lois Lowrys Dystopie The Giver Delinquente, Alte, Kranke und Babys, die zu viel weinen, im Namen der Ordnung getötet und auf der Stelle vergessen werden. Die Verschränkung des Todes mit Herrschaft, die ihn einerseits mehr oder weniger sublim als Droh- oder Sanktionsmittel einsetzt, »als legales Verdikt, im Krieg oder durch Verhungernlassen« (Marcuse 112), andererseits in ihm ihre Grenze erfährt, macht die Darstellung des Todes stets auch zu einem politischen Thema. »Denn der Tod, das stumpfeste und geistloseste, was sich denken lässt, ist Siegel all dessen, was falsch ist: vollendete Absage an Freiheit und Glück, der irreversible Triumph des blinden Ganzen über das zerbrechliche und verletzliche Einzelne. [..] Tod ist deshalb stets mit Herrschaft im Bunde. Keine Macht, die auf die ultimative Drohung verzichten könnte: Die trübe Unausweichlichkeit des Sterbens lehrt die Subjekte, dass vom Leben nicht mehr zu erwarten ist als das immergleiche Elend« (Quadfasel 2011b, 24). Adorno äußerte daher im Gespräch mit Ernst Bloch die Ansicht, »daß ohne die Vorstellung eines, ja, fessellosen, vom Tode befreiten Lebens der Gedanke an die Utopie, der Gedanke der Utopie überhaupt gar nicht gedacht werden kann.« (Adorno 1975, 68). Nicht an der Abschaffung des Todes als Möglichkeit festzuhalten, bleibt dem Leben verhaftet, wie es ist und endet. An anderer Stelle formuliert Adorno, es gehe ihm nicht um eine technische Verlängerung des Lebens, sondern darum, dass erst in einer Gesellschaft, in der sich die Möglichkeiten aller Individuen verwirklichen, vielleicht der Tod seine Gewalt verlieren könnte (vgl. Adorno 1998, 207). Dieser deutlich pragmatischer klingende Ansatz scheint sich mit den Ausführungen Christoph Türckes zu decken, die die Möglichkeit eines humaneren Sterbens durch eine andere gesellschaftliche Gestaltung des Lebens einer Apologie des Todes entgegenstellen, doch das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Adorno an der tatsächlichen Abschaffung des Todes eben als Utopie festhält, die gewissermaßen als Fixpunkt dazu aufruft, sich mit keinerlei Leid abzufinden. Zugleich ist Utopie unablösbar vom Gedanken an den Tod, weil er ihren negativen Kern, ihr Movens bildet: »wo die Schwelle des Todes nicht zugleich mitgedacht wird, da gibt es eigentlich auch keine Utopie.« (Adorno 1975, 68). Eine Leugnung des Todes und seiner Gewalt entlässt gerade nicht aus seinem Bann als Siegel von Herrschaft, sondern führt nur zu Euphemismen.
Auch wenn Kinder- und Jugendliteratur das Verhältnis von Herrschaft und Tod nicht explizit thematisiert, greift sie implizit immer auf diesen gesellschaftlichen Kontext zurück. Gerade weil der Tod nie ganz erfassbar ist und weil er für unausweichliches Leiden steht, eignet er sich, auf die eine oder andere Art mit Ideologie aufgeladen zu werden. In diesem Artikel werde ich mich daher mit der Ideologie der Todes- und Jenseitsvorstellungen in Kinder- und Jugendliteratur auseinandersetzen. Einige Kinderbücher lassen offen, ob es ein Jenseits gibt: Im Folgenden soll an einzelnen Werken, die demgegenüber Jenseitsvorstellungen enthalten, modellhaft veranschaulicht werden, wie Vorstellungen vom Tod in der Kinder- und Jugendliteratur die gesellschaftlichen Verhältnisse affirmieren und rechtfertigen. Dazu werde ich zunächst zwei extreme inhaltliche Pole in Form von zwei sehr verschiedenen literarischen Werken aus unterschiedlichen Entstehungszeiträumen gegenüberstellen. Als erstes werde ich die Affirmation anhand der Ausweitung der gesellschaftlichen Verhältnisse ins Jenseits an Barbara Dietrichs Abschied von Papa. Auf dem Weg ins Licht. Ein Trostbuch von 2002 veranschaulichen. Dann werde ich diese Vorstellung mit der Apolegetik der Vertagung der Wünsche ins Jenseits in Johanna Spyris in zahlreichen Verlagen und Versionen erschienenen und jüngst auch als E-Book vermarkteten Gritli-Büchern von 1883 und 1884 kontrastieren, um dann am Modell der Harry Potter Romane zu zeigen, dass Elemente beider Positionen auch in aktueller, populärer Kinder- und Jugendliteratur enthalten sind und sich miteinander verbinden.
»Grau in Grau«: Das Elend im Jenseits
Barbara Dietrichs Abschied von Papa handelt von der kleinen Tina, deren Vater zunächst ins Koma fällt und danach stirbt. Tina bekommt von den Erwachsenen wohlmeinende Ratschläge: Sie solle nicht so viel weinen, das helfe dem Vater nicht, sagt die Oma. Dann rät die Lehrerin, sie solle dem Vater positive Gedanken senden, denn im Koma könne er diese hören. Der Vater empfängt die Gedanken tatsächlich. Er beantwortet sie, indem er seine Seele zu Tina reisen lässt und ihr etwas über den Tod beibringt. Am Ende bekommt sie den Auftrag, ihre Mutter und Oma zu trösten und den Erwachsenen die Angst vor dem Tode zu nehmen. Diese Botschaft, dass Kinder anstatt zu viel zu weinen lieber sich in Gedanken an die Sterbenden wenden sollten, und die inhärente Vorstellung, die eigenen Gedanken könnten belauscht werden und etwas ausrichten, sind natürlich äußerst problematisch, weil sie den Kindern eine schwere Last und eine ungeheure Verantwortung aufbürden und die Tendenz von Kindern, sich am Tod naher Angehöriger schuldig zu fühlen (vgl. Raimbault 132f.), noch verstärken7.
Auf einer ideologiekritischen Ebene ist besonders interessant, wie der Tod in Abschied von Papa dargestellt wird: Der Vater leitet damit ein, dass er erklärt, jeder Mensch habe »eine Seele, die wir nicht sehen können, obwohl der Seelenkörper genauso aussieht wie der andere Körper« (Dietrich 11). Diese Seele sei eigentlich im Himmel zuhause. Was hier entfaltet wird ist eine dichotome Vorstellung von Seele und Körper, die in einem Zustand der Identität zusammengefasst sind: Seelenkörper und Körper unterscheiden sich nicht. Damit verliert diese Vorstellung von Seele jegliche Transzendenz. Während Tinas Vater die armen Menschen bemitleidet, die nicht an die Existenz einer Seele glauben und deshalb denken, dass mit dem Tod alles zu Ende sei, ist es tatsächlich so, dass diese Seele, die einerseits ganz unmaterialistisch gedacht ist und problemlos vom Körper abgetrennt werden kann, und zugleich nichts hat, was sie vom Körper unterscheidet, im Grunde das Diesseits ins Jenseits trägt. Tinas Vater verkündet, »dass wir eigentlich überhaupt nicht sterben können« (Dietrich 29). Dementsprechend gibt es zwischen dem Jenseits, durch das Tina eine exklusive Führung bekommt, und dem Diesseits keinen wirklichen Bruch. Tina bekommt eine Gegend gezeigt, die »grau in grau« ist, alle Menschen dort hetzen erschöpft vor sich hin: »Hier landen nach dem Tod all jene Menschen, die nur an sich selber denken. […] Erst wenn sie lernen, ihre Mitmenschen wahrzunehmen, können sie diese graue Gegend verlassen« (Dietrich 38). Diese durchlässige Hölle ist also eine Verlängerung der Tretmühle auf Erden. Wer aber beizeiten im Leben auf der Erde gelernt habe, Nächstenliebe zu üben, bleibe von diesem Schicksal verschont. Damit werden Probleme wie Stress und Kälte individualisiert, und nicht als Folge gesellschaftlicher Bedingungen betrachtet, unter denen die Einzelnen zur Kälte angehalten werden und in denen sie kaum zur Ruhe kommen dürfen, weil Arbeit und Verwertung ihr Leben bestimmen. Eine andere Dimension der »Hölle« (Dietrich 44) ist das »Tal der Angst« (Dietrich 42): »Die Menschen kommen in der jenseitigen Welt immer in das Umfeld, das ihren Gedanken entspricht. Freundliche, liebevolle Menschen kommen in freundliche, wunderschöne Gegenden, eigennützige, bösartige oder eben auch extrem misstrauische und angstvolle Menschen landen zum Beispiel hier. Sie kommen allerdings nicht als Strafe hierher, sondern um das zu lernen, was sie auf Erden nicht gelernt haben« (Dietrich 44). Mit der Verleugnung, dass es sich bei einer solchen Einrichtung der jenseitigen Welt um eine Strafe handele, wird das gewaltsame Moment dieser Vorstellung verleugnet: die Hölle erscheint als eine Art sozialpädagogische Institution, der es nur um Hilfe, nicht um Kontrolle geht. Dabei funktioniert sie nach dem Äquivalenzprinzip der Strafe in der bürgerlichen Gesellschaft, die mit »der Form des äquivalenten Tausches, des Tausches nach Werten, in Zusammenhang gebracht wird« (Paschukanis 153). Hier soll sie nicht einer bestimmten Tat der Menschen, sondern der inneren Haltung entsprechen. Dieses Prinzip setzt sich in Abschied von Papa als übergesellschaftlich und ahistorisch erscheinendes Schicksal um, dessen Gewaltmoment von der harmlos erscheinenden Forderung zum Lernen verschleiert wird. Zugleich ist das Ziel dieses Lernprozesses in Dietrichs Hölle sehr deutlich Anpassung und Selbstoptimierung: Die Protagonistin nimmt sich vor, »an ihren Schwächen zu arbeiten« (Dietrich 45). Ein guter Mensch zu werden, folgert sie, sei wichtiger als gute Noten zu haben. Der Vater schreitet ein, denn gute Noten seien auch wichtig: Das gute Funktionieren in gesellschaftlichen Verhältnissen, die auf Konkurrenz beruhen, erscheint nicht als Widerspruch zum gutmenschlichen Miteinander.
Dann kommen Tina und ihr Vater an einen kitschigen Ort der Ruhe, ein überirdisches Sanatorium: »An diesem friedvollen Ort seelischer Gesundung kann man neue Kräfte sammeln, um sich dann jenen Aufgaben stellen zu können, die hier auf einen warten« (Dietrich 46) erklärt Tinas Vater. Auch im Himmel dienen also Frieden und Ruhe nicht der Erfüllung oder dem Genuss, sondern lediglich der Reproduktion der Arbeitskraft. Denn es ist viel zu tun, vor allem in der Resozialisierung der HöllenbewohnerInnen: Gegenüber Menschen, die einen Hass auf Gott entwickelt hätten, seien beispielsweise die »besten Psychologen gefragt« (Dietrich 43). Die Gestaltung des Himmels ist eine Idealisierung eines einfachen, ländlichen Lebens, in dem man in dörflicher Umgebung von einer alten Frau, die Mutter Mara genannt wird, mit frischem Apfelsaft und selbstgebackenen Brot bedient wird. Frauen scheinen auch im Himmel noch für die Küche zuständig zu sein.
»Letztes Ziel ist es jedoch für uns alle, zurück in die absolute Glückseligkeit Gottes zu gelangen, aus der wir ursprünglich kommen. Diese tiefe Sehnsucht ist sozusagen Motor unseres gesamten Handelns« (Dietrich 49). Doch diese Belohnung, die wie ein Aufgehen im Licht am Ende des Tunnels dargestellt wird, werde erst jenen gewährt, die alles gelernt hätten, »was man als Mensch nur lernen kann« (ebd.). Die neoliberale Ideologie des lebenslangen Lernens wird also in diesem Bild auch noch im Jenseits fortgesetzt. Dieses ist eine einzige, schlechte Verlängerung der Verhältnisse, in denen die Menschen leben.
Das Diesseits ist zugleich vom Jenseits aus festgelegt. Der Tod des Vaters, so erfährt Tina, sei vorherbestimmt gewesen: Vor der Geburt hatten sich Vater, Mutter und die späteren Kinder entschieden auf die Erde zu gehen und eine gemeinsame Familie zu bilden. Da der Vater aber bereits ein künftiges Jobangebot für den Himmel erhalten hatte, hatte damals bereits festgestanden, dass er die Familie vorzeitig verlassen werde. Sie hatten sich bereits für einen Nachfolger des Vaters in der Familie entschieden und dann auf Erden all die Pläne wieder vergessen, sie aber nichtsdestotrotz in die Tat umgesetzt. Das hier gezeichnete Bild ergibt, dass es auf Erden keine Freiheit gebe, dass alles vorherbestimmt und der Verlust bereits von jedem Einzelnen im Vorhinein abgesegnet sei. Im Grunde ist diese Ideologie zusammengeschweißt aus den Nachteilen der Vorstellungen von menschlicher Freiheit und einem über den Entscheidungen der Einzelnen waltenden Schicksal: Man kann nichts mehr entscheiden, weil alles schon entschieden ist, aber zugleich ist man noch nicht einmal von der Verantwortung befreit. Die Botschaft dieses Buches ist der Imperativ, sich in sein Schicksal zu fügen und dabei gute Miene zum bösen Spiel zu machen, um hinterher nicht etwa in die Hölle zu geraten. So gesehen, ist Abschied von Papa ein sehr trostloses »Trostbuch«, das eine neoliberale, entsubstantialisierte, pädagogisierte Vorstellung von Himmel und Hölle entfaltet.
»Man möchte nur niederliegen und gar nicht mehr aufstehen«: Das Elend im Diesseits
In Johanna Spyris bis heute erhältlichem Kinderbuchklassiker Wo Gritlis Kinder hingekommen sind aus dem späten 19. Jahrhundert ist der Rekurs auf christliche Jenseitsvorstellungen expliziter. Darin wird unter anderem die Geschichte des elfjährigen Mädchens Nora erzählt, das krank, schwach und müde ist. Die alte Kinderpflegerin Klarissa bringt Nora ein Lied bei, in dem das Paradies beschrieben wird als ein Ort, an dem es kein Leid mehr gibt. Nora antwortet: »[D]as klingt so schön, und macht mir so große Lust zu gehen« (Spyri 7). Klarissa unterstützt diesen Wunsch und verspricht, sie und Noras Mutter würden bald nachkommen. Die Mutter ist mit solchen Gesprächen nicht so recht einverstanden, denn sie hofft noch immer, dass Nora wieder gesund wird. Doch Klarissa entgegnet ihr, dass das arme Mädchen ja nichts davon hätte, so schwächlich weiterzuleben, man solle ihr doch gönnen, in den Himmel zu kommen. Wertvolles Leben, so ist daraus zu schließen, bestimmt sich nach der Kraft und Aktivität: Wer nicht in der Lage ist, ein tüchtiges Leben zu führen, sollte barmherzig dem Tod überantwortet werden.
Nora freundet sich mit der kleinen Elsli an, die eigentlich dafür eingestellt wird, Botengänge zu erledigen. Das zarte Mädchen arbeitet hart in der armen Familie, in der es lebt. »Auf dem Elsli lag so viel, das ihm schwer machte und ihm weh tat, daß es fast nie recht froh und lustig aussah, wie die anderen Kinder.« (Spyri 60f.) Ähnlich wie Nora ist Elsli ständig erschöpft und müde. Ihre Aussichten für die Zukunft sind auch nicht besser als die beschriebene Situation, wie aus einer Äußerung ihrer Ziehmutter Margret deutlich wird: »Ich weiß nur, daß ich dem Elsli nicht ersparen kann, daß es jetzt dran muß, und je älter es wird, je schwerer wird’s kommen, denn sobald es einen Batzen verdienen kann, muß es in die Fabrik, das ist keine leichtere Arbeit als die Buben hüten.« (Spyri 78f.) Es wird mehrfach angedeutet, dass Elslis Aufgaben ihre Kräfte übersteigen, und die Sorge geäußert, sie werde ein frühes Ende finden.
Weil sie beide unter Müdigkeit leiden, verstehen sich die beiden Mädchen und freunden sich an: »›Ich bin fast immer müde, aber manchmal so stark, daß ich am liebsten nur niederliegen wollte und gar nicht mehr aufstehen. Der Hanseli wird jetzt so furchtbar schwer, daß ich ihn fast nicht mehr tragen kann; aber er will nicht auf den Boden, er will auf meinem Arm sein, sonst schreit er ganz laut und wird furchtbar bös.‹ ›O Elsli, so weißt du so gut, wie es ist, so schrecklich müde zu sein!‹ rief Nora ganz erfreut aus über das Verständnis, das sie gefunden hatte. ›O ich bin so froh, jetzt kann ich so gut mit dir von allem reden, du weißt nun ganz, wie es ist. Ja, nicht wahr, man möchte nur niederliegen und gar nicht mehr aufstehen, bis etwas ganz anderes käme, etwas ganz Neues, daß man nicht mehr müde sein könnte, nicht wahr, Elsli?‹ ›Es käme nichts Neues, zuletzt müßte man doch wieder aufstehen‹, meinte das Elsli. ›Nein, ich meine nicht so, wie du meinst; ich meine: niederlegen und sterben, möchtest du nicht auch gern sterben Elsli?‹« (Spyri 88). Was die beiden Mädchen miteinander verbindet, ist das Leid im Hier und Jetzt: Elsli leidet unter ihren Pflichten und der Armut, Nora hat ihren Vater sowie ihren Bruder verloren und leidet unter ihrer Krankheit, so dass sie den Wohlstand nicht genießen kann. Im Gegensatz zu Abschied von Papa, worin die beständige Arbeit ins Jenseits verlängert wird, bietet hier der Tod den Ausweg aus Leid und Schufterei. Noras Vorstellung des Himmels ist eine kitschige Idee von Erfüllung: »Viel schöner als alles, was du bis jetzt gesehen hast, und gar keine kranken Menschen gibt es mehr da, nicht einen, und keiner ist mehr müde, alle sind so glücklich, und hier und da am Strom unter den Blumen treffen sie sich an und freuen sich« (Spyri 94f.). Noras Bild vom Tod ist das Gegenbild zu Elslis Zukunft in der Fabrik, es besteht vor allem aus Natur und Muße. Die beiden Mädchen wünschen sich, das Elend der Welt gemeinsam hinter sich zu lassen, doch Nora teilt Elsli mit, dass sie leider nicht gehen könne, wann sie wolle, sondern warten müsse, bis Gott sie rufe. Da der Tod als einziger Ausweg aus Leid und Not gesehen wird, wird Noras Ableben dann auch in entsprechend idealisierter Weise dargestellt. Die beiden Kinder schauen sich den Sonnenuntergang an und Noras letzte Worte sind: »O sieh, es ist, wie wenn der Himmel ganz offen stünde, und man sieht, wie es leuchtet drinnen und schimmert und glänzt. O wie schön! O wie schön!« (Spyri 133). Eslis Reaktion beinhaltet keine Verzweiflung darüber, dass ihre beste Freundin nun nicht mehr unter den Lebenden weilt, sondern Bestürzung darüber, dass sie selbst unter diesen zurückbleibt: »O! o! Nun ist sie schon gegangen und ohne mich!« (Spyri 135). Der Tod wird zum Einzigen, das etwas wirklich Neues bietet, einen Ausweg aus dem alltäglichen Elend.
Im Grunde wird Nora dreifach konserviert, ihre Seele scheint ins Paradies gekommen, ihr Körper bleibt als »schöne Leiche« zurück, und zugleich lebt Nora in Elsli weiter: Elsli redet wie eine Neuausgabe von Nora. Deshalb entschließt sich Noras Mutter, Elsli wegen dieser Ähnlichkeit als Kind aufzunehmen. Für Elsli scheint es also zunächst die Möglichkeit zu geben, auch im Leben glücklich zu werden, denn nun muss sie nicht mehr mit einer harten Zukunft in der Fabrik rechnen und Klarissa ersetzt Elsli die Mutter. Doch durch die übertriebene Ähnlichkeit zu Nora wird bereits angedeutet, dass die arme Elsli im Grunde keine eigene Existenzberechtigung hat, dass ihr nicht der Raum für eine freie Entwicklung gewährt wird, sondern dass ihr Glück schon der Nähe zum Tod entlehnt wird. Die Erzählung schließt mit der Botschaft, »daß nur diejenigen sicher und fröhlich bleiben, die auf den lieben Gott vertrauen, der alles in seiner Hand hält und zum Guten führt« (Spyri 178). Auch hier also findet sich trotz der sehr unterschiedlichen Erzählungen eine ähnliche Schicksalsverfallenheit wie in Abschied von Papa, aber eben mit dem Umweg über Gott, der einen Teil der Verantwortung übernimmt, auch wenn es an den Menschen liegt, ob sie sich ihm zuwenden oder nicht.
Um es kurz zu machen: Im zweiten Band, Gritlis Kinder kommen weiter, fühlt Elsli sich in ihrer Untätigkeit nicht wohl und grämt sich, weil das Leid anderer Menschen sie permanent an ihre eigene Familie erinnert. Sie beschließt, den Armen zu helfen und übernimmt dabei wieder ähnliche Tätigkeiten wie zuvor, nur dass sie diese nun fröhlicher stimmen. Noch immer spricht sie gerne vom Tod. Einem alten Mann, der Sorge hat, nicht ins Paradies zu kommen, sagt sie ein Lied auf, in dem versprochen wird, dass alle, die ihre Sünden bereuen, Zugang dazu haben. Am Ende stirbt Elsli. Dabei überkommt sie zunächst ihre ganze Trübsal, dann aber wendet sie sich den Sternen zu und stirbt mit einem Lächeln. Im Leben, so wird nahegelegt, brauchen zarte Frauen8 nicht aufs Glück zu hoffen, aber wenn man wohltätig ist und seine Sünden bereut, dann wird der Tod zum Fluchtpunkt der Erlösung. Da man sich darauf verlassen kann, dass Gott spätestens im Jenseits »alles zum Guten führt«, lässt sich die Gegenwart hinnehmen. Utopische Transzendenz wird dem Tod vermacht.
»The last enemy that shall be destroyed is death«
Nun läge ja die Vermutung nah, dass eine solche Verklärung des Todes, wie sie sich in Spyris Erzählungen findet, nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist. Doch Idealisierungen des Todes sind auch in der aktuelleren Kinder- und Jugendliteratur präsent, wie sich ja in Dietrichs himmlischer Dorfidylle bereits gezeigt hat. Die verklärenden Vorstellungen des Jenseits heute enthalten, eher zeitgemaß, stärker die Vorstellung eines Ausbruchs aus dem Alltag. Das Neue darin ist nicht einfach nur die Möglichkeit zum Ausruhen und die Erlösung vom Leid, sondern zentraler das Entfliehen aus der Routine: »Wo der Fortschritt einmal das Neue verheißen hat und doch nur den ewigen Zyklus von birth, school, work, death fortzusetzen vermochte, gewinnt dessen Ende am Ende selbst den Thrill des ganz Anderen, der das Subjekt aus der Routine reißt und endlich Abwechslung verspricht« (Quadfasel 2011b, 24). Das findet sich beispielsweise schon darin, dass der Protagonist von Lindgrens Die Brüder Löwenherz von 1973 im Sterben sein karges, kränkliches und einsames Leben gegen die aufregenden Abenteuer in der atheistisch konzipierten jenseitigen Welt Nangijala eintauscht. Ein jüngeres Beispiel wäre, dass in Meyers erfolgreicher Twilight Reihe die Protagonistin sich nichts sehnlicher wünscht als ihr menschliches Leben zu beenden und damit den Anforderungen des Colleges, der Zerbrechlichkeit des menschlichen Körpers und dem Alterungsprozess zu entkommen. Wenn auch Bella nicht in ein phantastisches Jenseits, sondern in die Mortifikation der kraftvollen, unveränderlichen und skulpturenähnlichen Vampirgestalt flieht, findet sich doch hier sehr deutlich die Vorstellung wieder, dass nur das Ende der menschlichen Existenz den ultimativen Kick des Neuen verspricht9.
Wie stellt sich nun das Verhältnis der Harry Potter Reihe zum Tod dar? Der Tod ist eines der zentralen Themen der Heptalogie und er wird hier deutlich vielschichtiger und widersprüchlicher behandelt als in Abschied von Papa oder den Büchern über Gritlis Kinder. Deshalb kann hier kein umfassendes Bild der Darstellung von Tod, Sterben und Verlust in Rowlings Reihe skizziert werden. Im Folgenden werden nach einer knappen Einführung lediglich einzelne, relevante Aspekte herausgegriffen. Das sich verändernde Verhältnis zum Tod ist in der Heptalogie zentraler Indikator für das Erwachsenwerden. Dabei wird der Umgang mit dem Tod verschiedener Figuren gegenüber gestellt, vor allem der des Bösewichts Voldemort, der sich durch mangelnde Akzeptanz des Todes zum faschistoiden Mörder entwickelt, der seines Gegenspielers, Harrys Schulleiter und väterlichem Mentor, Albus Dumbledore, und der des Protagonisten. Voldemorts Umgang mit dem Tod wird mit Harrys Verhältnis zum Tod kontrastiert, jener als misslungener und dieser als gelungener Ausgang einer Entwicklung dargestellt.
Der Unterschied zwischen diesen verschiedenen Perspektiven wird bereits im ersten Band thematisiert, als Voldemort sich dadurch am Leben erhält, dass er Einhörner tötet, um ihr Blut zu trinken: Der Zentaur Firenze erklärt Harry, dass es monströs sei, ein so reines und unschuldiges Wesen umzubringen, und man danach nichts als »a half life, a cursed life« (Rowling 1997, 188) habe. Darauf sagt Harry: »If you're going to be cursed for ever, death is better, isn't it?« (Rowling 1997, 189) Dumbledore geht noch einen Schritt weiter als den Tod einem schlechten Leben vorzuziehen, er vermittelt auch Idealisierungen des Todes: »After all, to the well-organized mind, death is but the next great adventure« (Rowling 1997, 215). Als der Alchimist Nicholas Flamel und seine Frau, die den Stein der Weisen besessen haben und deshalb über 600 Jahre alt sind, den Stein zerstören lassen, damit er nicht in die falschen Hände gerät, tröstet Dumbledore den erschrockenen Harry, das Sterben der Flamels sei »like going to bed after a very, very long day« (ebd. Hervorhebung im Original). Die drei Positionen, die sich hier andeuten, sind – verhandelt an Voldemort – die mangelnde Akzeptanz des Todes und die Bereitschaft, auf eine Verlängerung des Lebens auf Kosten anderer und um einen hohen Preis für das eigene Leben zu setzen, im Falle Harrys eine größere, aber vorsichtige Akzeptanz des Todes unter bestimmten Bedingungen und im Falle des als weise dargestellten Dumbledore eine euphemistische Vorstellung des Todes. Diese drei Positionen werden im Folgenden genauer analysiert.
Für Voldemort steht der Tod für Schwäche, die es zu überwinden gilt. Dies ist Teil seiner faschistischen Entwicklung10. Voldemort versucht Schwäche an sich und anderen auszumerzen und sich mit Hilfe von Horkruxen zu verewigen: »A horcrux is the word used for an object in which a person has concealed part of their soul [...] Then, even if one's body is attacked or destroyed, one cannot die, for part of the soul remaines earthbound and undamaged. [...] Killing rips the soul apart.« (Rowling 2005, 464). Zu Beginn der Reihe ist Voldemort, nachdem ihn sein eigener Todesfluch getroffen hat, nicht mehr als eine Art körperloser Schatten, der sich parasitär in anderen Lebewesen einnistet, bis er sich im vierten Band magisch einen neuen Körper zulegt. Dadurch, dass Voldemort durch Morde eigene Seelenteile abreißt und in Objekte bannt, wird er immer unmenschlicher, denn seine Verewigung geht nicht nur über Leichen, sondern ist auch eine Art von Verdinglichung. Voldemort repräsentiert die radikale Konsequenz der Dynamik, dass unter diesen gesellschaftlichen Bedingungen Leben sich nur als ein Leben auf Kosten anderer erhalten kann. Paradebeispiel dafür, dass sich Unsterblichkeit darin gern als Mortifikation denken lässt, sind die Faschisten und Fundamentalisten, denen die Figur angeglichen ist: Sie, so führt Terry Eagleton aus, ertragen weder die Kontingenz und die wuchernde Unkontrollierbarkeit des Lebens noch den Mangel, für den der Tod steht: »The fundamentalist tries to outwit death by the crafty strategy of projecting its absolutism on to life, thus making life eternal and imperishable« (Eagleton 213). Daher ist ihr Programm die »mörderische Stillstellung von Geschichte. Erst wenn alles Ephemere und Vergängliche gebannt ist, ist das Subjekt vor dem Tod sicher – und ihm zugleich vollkommen verfallen« (Quadfasel 2011b, 24). Genau dieser Umgang mit dem Tod wird durch Voldemort als monströs und erschreckend dargestellt. Voldemort verewigt sich nicht nur durch Mortifizierung, er verringert die Differenz zwischen den Lebenden und den Toten auch in die entgegensetzte Richtung, beispielsweise steuert er marionettenähnliche Leichen und schändet das Grab seines Vaters, um dessen Überreste in sich aufzunehmen.
Als Gegenbild zu Voldemort fungieren Harry und Dumbledore. Wie in den obigen Zitaten bereits angedeutet, bietet der Tod in Dumbledores Vorstellung einerseits wohlverdiente Ruhe, andererseits neue Abenteuer. Er lehnt lebensverlängernde magische Maßnahmen ab, auch wenn sie im Gegensatz zum Horkrux-Zauber niemandem Schaden zufügen. So sagt er über den Stein der Weisen: »You know, the stone was really not such a wonderful thing. As much money and life as you could want! The two things most human beings would choose above all – the trouble is, humans do have a knack of choosing precisely those things which are worst for them« (Rowling 1997, 215). Konsequent ist, dass Dumbledore damit nicht nur für eine Akzeptanz des Todes wirbt, sondern zugleich für eine Verlängerung von Armut und Beschränkung im Leben: »Wer den Tod bejaht, […] kapituliert auch vor dem Diesseits. Er ist Positivist« (Türcke 96). Der Tendenz von Spyris Erzählungen gar nicht so unähnlich, lässt Dumbledore mit der Beschönigung des Todes die Beschränkungen im Leben als akzeptabel erscheinen. Eingeführt als Genie und guter Mensch ist er eine vertrauenswürdigere Figur als Voldemort. Sein Verhältnis zum Tod wird in der Reihe nicht kritisiert und erscheint damit als positives Gegenmodell zu dem des Oberbösewichts.
Harry ist die einzige dieser drei Figuren, deren Verhältnis zu Tod und Sterben sich im Laufe der Erzählung wandelt. Diese Entwicklung hier im Einzelnen nachzuvollziehen, würde den Rahmen sprengen. Harrys Stationen in dieser Entwicklung weichen zum Teil von Dumbledores Vorstellung ab. Als er am Grab seiner Eltern die Inschrift »The last enemy that shall be destroyed is death« liest, gerät er in Panik: »Isn't that a Death Eater11 idea? Why is that there?« Darin drückt sich die Angst aus, die Toten könnten gar nicht tot sein, sondern ein pervertiertes, untotes Leben führen, wie Voldemort es am Grab seines Vaters zelebriert hat. Dabei enthält die Grabinschrift die oben bereits angedeutete Utopie, für Harry aber ist die Vorstellung eines »vom Tode befreiten Lebens« unverbrüchlich gekoppelt an die faschistoide Form, den Tod zu überwinden. Er lässt sich durch die Worte seiner besten Freundin Hermione, »It doesn't mean defeating death in the way the Death Eaters mean it, Harry [...]. It means... you know... living beyond death”, die Dumbledores Äußerungen ähneln, nicht beeindrucken: »But they were not living, thought Harry: they were gone. The empty words could not disguise the fact that his parents' mouldering remains lay beneath snow and stone, indifferent, unknowing. And tears came before he could stop them, boiling hot then instantly freezing on his face, and what was the point in wiping them off, or pretending? He let them fall, his lips pressed hard together, looking down at the thick snow hiding from his eyes the place where the last of Lily and James lay, bones now, surely, or dust, not knowing or caring that their living son stood so near, his heart still beating, alive, because of their sacrifice and close to wishing, at this moment, that he was sleeping under the snow with them.” (Rowling 2007, 269). Harry verweigert sich der Tröstung, die er als leer empfindet, und realisiert den Verlust: Dort, wo die sterblichen Überreste verwesen, ist er sich gerade durch deren Präsenz bewusst, was fehlt: Die Knochen wissen nichts, fühlen nichts. Er, dessen Herz schlägt, ist unwiderruflich getrennt. Einerseits wird hier mit der Realisierung der unhintergehbaren Grenze des Todes einer Ideologisierung des Todes entgegen gearbeitet, die Jenseitsvertröstung wird zugunsten der Trauer aufgegeben, zugleich stellt sich jedoch die scheinbar rationale Reduzierung der Toten auf verwesende Materialität auf die Stufe einer Verleugnung eines Jenseits des Todes, die das Leben selber in sich hineinreißt und Harry wünschen lässt, er sei tot, als gäbe es nichts, was ihn im Leben hält. Vergegenwärtigung findet hier nicht statt. Zugleich hat der Tod hier einen Sinn: Jenseits des Todes ist Harrys Leben durchs Opfer ermöglicht. Liest man jedoch die Grabinschrift »The last enemy that shall be destroyed is death« nur als Signum der Faschisten, also im Voldemortschen Sinne, oder als Jenseitsvertröstung à la Dumbledore, nimmt man ihr den utopischen Gehalt. Dann bleibt als Gegenbild nur zweierlei: den Tod – und damit seine Gestalt im Hier und Jetzt, letztlich das Leben, wie es ist, – zu akzeptieren oder zu beschönigen. Und doch schwingt in diesen Worten auf dem Grabstein die Sehnsucht mit, den Tod, seinen gewalttätigen Einschnitt, das Opfer abzuschaffen
Am Ende behält allerdings Dumbledore in gewisser Weise recht. Nachdem Harry sein Leben geopfert hat und von Voldmorts Todesfluch getroffen wurde, damit der achte Horkrux, der (in) Harry selber ist, zerstört wird, findet er sich an einem Ort wieder, den er als King's Cross Station bezeichnet. Dort ist Harry heiler und ganzer als zuvor, seine Wünsche scheinen sich auf der Stelle zu erfüllen und er trifft auf den bereits verstorbenen Dumbledore. All das legt nahe, dass Harry im Jenseits ist. Doch das wird in der Schwebe gelassen: »›But you're dead.‹ said Harry. ›Oh, yes.‹ said Dumbeldore matter-of-factly. ›Then... I'm dead too?‹ ›Ah,‹ said Dumbledore, smiling still more broadly. ›That is the question, isn't it? On the whole, dear boy, I think not.‹« (Rowling 2007, 567) Es wird nicht genau aufgeklärt, wo sich diese Sequenz abspielt: »›Well, where do you think we are?‹ asked Harry, a little defensely. ›My dear boy, I have no idea. This is… your party.‹« (Rowling 2007, 570, Hervorhebung im Original). Irgendwann fragt Harry, ob er zurück müsse. »›That is up to you.‹ ›I've got a choice?‹ ›Oh yes‹, Dumbledore smiled at him. ›We are in Kings Cross, you say? I think that if you decided not to go back, you would be able to… let's say... board a train.‹ ›And where would it take me?‹ ›On‹, said Dumbledore simply« (Rowling 2007, 578). Damit wird erneut nahegelegt, dass es nach dem Sterben weitergehe. Dann fragt Harry, ob dies alles real sei oder nur in seinem Kopf passiere: »›Of course it is happening inside your head, Harry, but why on earth should that mean that is not real?‹« (Rowling 2007, 579) antwortet Dumbledore. Alles in allem scheint King's Cross ein Grenzbereich zu sein zwischen Realität und Phantasie, zwischen Leben und Tod, Diesseits und Jenseits, wie auch der Name andeutet, es handelt sich um einen Bahnhof, an dem man ein-, aus- oder umsteigt, nicht verweilt, dort kreuzt sich etwas.
Neben Dumbledore findet sich an diesem Ort eine zitternde, versehrte, wimmernde Kreatur. Gerade nachdem Harrys Unversehrtheit betont wurde erscheint das, was da plötzlich unanständige und mitleidserregende Geräusche macht, als das, was aus der narzißstischen Ganzheit herausfällt. Es liegt die Deutung nahe, dass es ein ausgestoßener Teil Harrys ist, der innere Horkrux, das externalisierte Böse in Harry. »It had the form of a small naked child, curled on the ground, its skin raw and rough, flayed-looking, and it lay shuddering under a seat where it had been left, unwanted, stuffed out of sight, struggling for breath« (Rowling 2007, 566). An früherer Stelle wird erläutert, dass, wenn die durch Morde zerrissene Seele nicht durch Reue zusammengefügt werden kann, sie auch im Tod nicht wieder eins wird. Was sich hier findet, ist demnach ein Fragment Voldemorts bzw. das, was von Voldemort übrigbleibt12. Keine metaphysische Instanz, kein Gott, kein Teufel hat diese Art von Strafe herbeigeführt, sondern es handelt sich um eine eher materialistische Vorstellung von Verdammnis: Es ist das Handeln selbst, das darüber entscheidet, indem es die Seele zerstückelt oder durch Reue unter Schmerzen zusammenfügt. Dumbledore rät Harry, kein Mitleid damit zu haben: »There is no help possible« (Rowling 2007, 568). Dumbledores absolute Verweigerung der Hilfe lässt keine Erlösungsvorstellung mehr zu: Erlösen kann demnach einzig das Subjekt sich selbst, ohne zu bereuen ist alles zu spät, diese Reue kann dem Einzelnen auch niemand abnehmen. Die mangelnde Gnade für das Etwas, dass niemand ihm verzeihen kann, ist mehr als eine nicht zu hintergehende, maßlose, sich selbst exekutierende Strafe als Konsequenz des faschistischen Mordens: Es zeigt metaphorisch, wie Menschen verkümmern, wenn sie sich dem Bösen hingegeben. Zugleich deutet sich darin ein zutiefst anti-utopischer Gedanke an, der die Schuld verewigt, weil keine Zukunft, keine Vergebung sie erleichtern kann: »Heute, nach einem, zwanzig, fünfzig Jahrhunderten der Schlächterei braucht Vergebung ausnahmslos jeder. Dass die Ermordeten ihren Mördern einmal verzeihen könnten – darin gewinnt der Wunsch nach der Abschaffung des Todes, ohne welchen nach Adorno keine Utopie zu denken ist, seine tiefste, physisch-metaphysische Würde. Nicht als ein in die Unsterblichkeit verlängertes narzisstisches Wunschbild vom makel- und mangellosen Körper – sondern als von der ›Schwere des Todes‹ gesättigter Traum dessen, was vielleicht die Weltgeschichte noch zum Besseren wenden könnte« (Quadfasel 2011a, 49).
Demgegenüber siegt Harry, weil er sich opfert. Deshalb, so Dumbledore, sei er »true master of death«. Vielleicht ist es wirklich nur die Bereitschaft, das Leben hinzugeben für andere, die es lebenswert macht, doch »ein Gebot aus dem Opfer zu machen, gehört zum faschistischen Repertoire« (Adorno GS 10.2 ,777f.). Das Opfer, in der Erzählung ein Akt des Widerstandes gegen Voldemorts Regime, hat selber einen affirmativen Charakter: »Der Zusammenhalt der gesellschaftlichen Ordnung hängt in einem beachtlichen Ausmaß davon ab, wie wirksam sich die Einzelnen dem Tod als einer mehr als bloß natürlichen Notwendigkeit fügen... wie sehr sie dem zustimmen, sich zu opfern... Die gesellschaftliche Ordnung verlangt Einwilligung in Mühsal und Resignation, Heldentum und Bestrafung der Sünden« (Marcuse 113). Harrys Opfer zerstört zwar die faschistoide Herrschaft Voldemorts, doch am Ende wird die Ordnung, die Voldemorts Aufstieg zu Grunde liegt, wieder errichtet: Erscheint es nach dem finalen Kampf so13, als seien Hierarchien und diskriminierende Verhältnisse aufgelöst, »[...] »nobody was sitting according house any more: all were jumbled together, teachers and pupils, ghosts and parents, centaurs and house-elves [...]«14, macht der Epilog, der 19 Jahre später spielt, den Eindruck, als sei wieder alles beim Alten: In den Gesprächen der Hauptfiguren bei der Einschulung ihrer Kinder nimmt beispielsweise Konkurrenz einen hohen Stellenwert ein. Auch die klare schulische Hierarchie ist wieder aufgebaut und selbst das viel kritisierte Schulhaus, dessen Gründer nur Kinder aus »reinblütigen« Zaubererfamilien aufnehmen wollte, besteht wieder. Harrys Lösung des Problems der Sterblichkeit besteht darin, dass er eine Familie gründet: Die Kinder haben im Epilog die Namen der Toten und viele Ähnlichkeiten ihrer Erzeuger und Verwandten geerbt, so dass sie eine narzisstische Verlängerung und Verewigung ihrer Eltern darstellen. Hinterrücks taucht dabei die Vorstellung guter genetischer Abstammung, die zuvor an Voldemort und seinen AnhängerInnen kritisiert wurde, wieder auf15. Die Ordnung wird affirmiert: Harrys Narbe, die daher rührt, dass Voldemort den Protagonisten töten wollte und durch das Opfer von Harrys Eltern daran gehindert wurde, und in der sich sonst über den inneren Horkrux Voldemorts Boshaftigkeit geäußert hatte, schmerzt Harry seit Voldemorts Tod nicht mehr. Der letzte Satz lautet: »All was well« (Rowling 2007, 607). Allerdings unterminiert dieses zweite Happy End nicht nur das erste, sondern auch umgekehrt. Der affirmative Schlusspunkt geht nicht ganz auf und funktioniert nur schlecht als Wunschvorstellung, weil er die vorherigen kritischen Impulse übergeht und die Versprechen des ersten Happy Ends bricht16: Der Epilog spaltet die Fangemeinde, die ihn in der Regel entweder lieben oder hassen. Im Weiterspinnen der Geschichte durch die LeserInnen in Fanfiction und Online-Rollenspielen wird dieses Ende häufig umgeschrieben. Der letzte Satz bekommt dadurch, dass Harrys Narbe noch da ist, aber nicht schmerzt, so dass die Möglichkeit, dass sie wieder schmerzen könnte, aufgerufen wird, sowie durch die innere Widersprüchlichkeit der Erzählung insgesamt eine gewisse Ambiguität: Er wird von den LeserInnen mal als enttäuschend und kitschig, mal als bedrohlich, mal als ironisch, von vielen aber auch als kathartisch wahrgenommen.
In jedem der drei besprochenen Werke dient die Jenseitsvorstellung auf unterschiedlichen Wegen dazu, zur Rechtfertigung und zur Akzeptanz des Leides im Leben beizutragen, wobei jedes auf seine Art »den Tod zu einem Sinnvollen erhebt, und dadurch schließlich darauf vorbereitet, daß die Menschen den ihnen von ihren Gesellschaften und Staaten zugedachten Tod wohlmöglich freudig adoptieren« (Adorno 1998, 203f.). Bei Spyri geschieht dies über die Vertagung der Sehnsucht nach einem besseren Leben auf ein idealisiertes Jenseits, bei Dietrich über die Verlängerung der Verhältnisse ins Jenseits, das das Diesseits als Schicksal setzt. In der Harry Potter Reihe verbinden sich beide Tendenzen in einem euphemistischen Bild vom Tod, das allerdings vager und vor allem widersprüchlicher ist. Zwar wird die Vorstellung der Verlängerung des Lebens im Jenseits nicht gänzlich ausgemalt, klar aber ist: Danach kann es weitergehen, und zwar heiler und ganzer als zuvor, aber wenn die Seele im Eimer ist, kann man als ohnmächtiges Bündel im Übergangsraum landen. Für diejenigen, die nicht rechtzeitig bereuen, gibt es keine Hilfe wie in Abschied von Papa. In Harry Potter wird die Entscheidung über den Ausgang der eigenen Geschichte durch die Entscheidungen der Einzelnen im Diesseits gefällt, ins Subjekt verlegt, individualisiert und damit die Gesellschaft als eine verklärt, in der die Entscheidungen der Einzelnen von wesentlicher Bedeutung seien. Die beste Lebensversicherung fürs Jenseits ist die Bereitschaft, das Leben aufzugeben, was sich gegen ein Versteinern des Lebens und das neurotische Anklammern an Identität richtet, zugleich jedoch das Opfer verklärt. Diesseits wird die Sterblichkeit durch die narzisstische Verlängerung der Eltern in ihren Nachkommen scheinbar überwunden, obgleich die generationale Ordnung immer das Verhältnis von Geburt und Tod aufruft. Eine Befreiung vom Druck des Todes wie jene durch den Stein der Weisen wird problematisiert und damit werden auch die schlechten Verhältnisse im Diesseits verlängert. Die Utopie eines »vom Tode befreiten Lebens« schimmert auf, wird aber als diesseitige Vorstellung zumindest vom Protagonisten in eins gesetzt mit dem faschistischen Anklammern, das das Leben selber versteinert – und das zurecht kritisiert wird. Damit aber verflüchtigt sich tendenziell, – und nicht ganz so deutlich und widerspruchsfrei wie bei Dietrich – die Transzendenz im Diesseits, was sich darin widerspiegelt, dass Rowlings Happy End vor allem in der Wiederherstellung der alten Ordnung zu bestehen scheint, das zugleich durch seine Brüchigkeit Widerspruch geradezu herausfordert.
Literatur
Adorno, Theodor W.: »Dialektische Epilegomena«. Gesammelte Schriften 10.2. Frankfurt/ Main: Suhrkamp 1997. Negative Dialektik. GS 6. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1997. Metaphysik. Begriffe und Probleme. Vorlesungen Band 14. Nachgelassenen Schriften. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998.
ders.: »Etwas fehlt... Über die Widersprüche der utopischen Sehnsucht. Ein Gespräch mit Theodor W. Adorno 1964«. Gesprächsleiter: Horst Krüger. Gespräche mit Ernst Bloch. Rainer Traub und Harald Wieser (Hg.). Frankfurt am Main: Suhrkamp. 1975, 58-77.
ders.: Erziehung zur Mündigkeit. Vorträge und Gespräche mit Hellmut Becker 1959-1969. Frankfurt am Main 1971.
Babenhauserheide, Melanie: Blut, Abstammung und Familie in J.K. Rowlings Harry Potter Reihe. In: interjuli. Internationale Kinder- und Jugendliteraturforschung. Heft 02/12.
dies.: The Twofold Happy Ending of J.K. Rowling‘s »Harry Potter«-Series: Utopian and Affirmative Aspects. In: Work in Progress. Work on Progress. DoktorandInnenjahrbuch der Rosa Luxemburg Stiftung 2013 (i.E.).
Baeck, Jean-Phillip/ Beeck, Volker: Mit Judo gegen Wodka Bruno, Miethai Zinse und Dr. Mubase. TKKG – ein postnazistischer Jugendkrimi. In: kittkritik (Hg.): Deutschlandwunder. Wunsch und Wahn in der postnazistischen Kultur. Mainz 2007.
Bremer Kollektiv: Didaktik und Methodik des Deutschunterrichts. Stuttgart 1974.
Bryfonsky, Dedria: Introduction. In: Bryfonsky, Dedria (Hg.): Political Issues in J.K. Rowling‘s Harry Potter Series. Farmington Hills 2009.
Dietrich, Barbara: Abschied von Papa. Auf dem Weg ins Licht. Ein Trostbuch. Woldert: Smaragd Verlag 2002.
Eagleton, Terry: After Theory. London: Penguin Books, 2004.
Fried, Amelie/ Gleich, Jacky: Hat Opa einen Anzug an? Berlin 1997.
Goldstein, Dana: The Politics of Harry Potter Are Not Progressive. In: Bryfonsky, Dedria (Hg.): Political Issues in J.K. Rowling‘s Harry Potter Series. Farmington Hills: Greenhaven Press 2009.
Les Madeleines: »Thesen zu Materialismus und Tod.« Extrablatt. Aus Gründen gegen fast Alles. Nr. 8, Sommer/Herbst 2012.
Marcuse, Herbert: »Die Ideologie des Todes«. Der Tod in der Moderne. Hans Ebeling (Hg.). Frankfurt am Main: Syndikat Verlag 1984, S.106-115.
Paschukanis, Eugen: Allgemeine Rechtslehre und Marxismus. Versuch einer Kritik der juristischen Grundbegriffe. Übersetzt von Edith Hajós. Wien/Berlin: Verlag für Literatur 1929.
Raimbault, Ginette: Kinder sprechen vom Tod. Klinische Probleme der Trauer. 2. Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1980.
Rowling, J.K.: Harry Potter and the Philosopher‘s Stone. London: Bloomsbury 1997.
dies.: Harry Potter and the Half Blood Prince. London: Bloomsbury 2005.
dies.: Harry Potter and the Deathly Hallows. London: Bloomsbury 2007.
Richter, Dieter: »Die Kinder und ihre strengen Freunde«. Lesebilder. Geschichten und Gedanken zur literarischen Sozialisation. Dietmar Larcher, Christine Spiess (Hg.). Reinbek bei Hamburg. Rowohlt 1980. S.153-160.
Richter, Dieter/Vogt, Jürgen (Hg.): Die heimlichen Erzieher. Kinderbücher und politisches Lernen. Reinbek bei Hamburg 1974.
Spinner, Kaspar H.: Minderwertigkeitsgefühl und Grandiositätsfantasie. Wie ›Harry Potter‹ seine Leser verzaubert. In: Knobloch, Jörg (Hg.): ›Harry Potter‹ in der Schule. Didaktische Annäherungen an ein Phänomen. Mühlheim an der Ruhr 2001.
Spyri, Johanna: Wo Gritlis Kinder hingekommen sind. Geschichten für Kinder und auch für solche, welche die Kinder lieb haben. http://www.gutenberg.org/files/22570/22570-h/22570-h.htm (12.08.2012).
dies.: Gritlis Kinder kommen weiter: Eine Geschichte für Kinder und solche, die Kinder lieb haben. Reutlingen: Enßlin & Laiblin 1939.
Türcke, Christoph: Kassensturz. Zur Lage der Theologie. Zweite Auflage. Lüneburg: Dietrich zu Klampen Verlag 1997.
Quadfasel, Lars: »Gabi hat den Tarzan lii-ii-ieb...« TKKG – der postfaschistische Kinderkrimi und seine Geschlechterrollen. In: JD/JL (Hg.): give the feminist a cigarette. Wuppertal 2001.
Quadfasel, Lars: »Gottes Spektakel. Zur Metakritik von Religion und Religionskritik. Epilog: Der postmoderne Apostel«. Extrablatt. Aus Gründen gegen fast Alles. Nr. 7, Sommer 2011 (a).
Quadfasel, Lars/Les Madeleines »Unwiederbringlich«. Jungle World Nr. 51, 22. Dezember 2011 (b).
ANMERKUNGEN
1 Siehe beispielsweise Richter, Dieter/Vogt, Jochen 1974.
2 Dabei wurden durchaus auch Ansätze populär, die Ideologie eher als eine Art gezielte, durch die herrschenden Klassen vorangetriebene Indoktrination verstanden, und nicht als durch die gesellschaftlichen Verhältnisse geformte Legitimation und Widerspiegelung des falschen Scheins dieser Verhältnisse im Denken. Heute allerdings hat die Ideologiekritik, die im Fahrwasser der 68er in kritische Wissenschaft und Pädagogik geschwappt war, ihre Selbstverständlichkeit auch in der Kinder- und Jugendbuchforschung verloren gegenüber poststrukturalistischen Ansätzen wie der Diskursanalyse.
3 Siehe beispielsweise Bremer Kollektiv 1974.
4 Ganz praktisch stellt er sich das so vor, dass man mit SchülerInnen gemeinsam Filme, Radiosendungen, Schlager und Illustrierte zum Gegenstand immanenter Kritik macht und »ihnen zeigt, wie dabei mit ihnen unter Ausnutzung ihrer eigenen Triebedürftigkeit Schlitten gefahren wird«(Adorno 1971, S.146).
5 Dieter Richter hatte bereits Ende der 70er Jahre kritisiert, dass die pädagogisch motivierten ideologiekritischen Analysen lediglich ein offenes Auge für die intendierte pädagogische Moral hätten und dabei die Widersprüche übersehen würden. Obwohl er die Widersprüche im literarischen Material nachweist, kommt er zu dem Schluss, man müsse sich eher den Umgang der Kinder mit der Literatur anschauen. Siehe Richter 1980.
6 Das gilt zum Beispiel im Falle von Tarzan (bzw. Tim) aus dem »postnazistischen Kinderkrimi« (Baeck/Beeck 2007, S.71) TKKG, der, »nicht beschränkt durch einen leiblichen Vater, der das verkörpert, was der Sohn in seinem Namen erst werden soll«(Quadfasel 2001, S.34), eine besondere Position einnehmen kann als »kollektives Ich-Ideal: als innerer Führer« (Quadfasel 2001, S.34) und zwar als »der ideelle Große Bruder« (Quadfasel 2001, S.36), der dabei hilft, sich der Herrschaft zu unterwerfen.
7 Wie beängstigend und bedrückend die angeblich beruhigende Verbindung mit Toten und Sterbenden sein kann, veranschaulicht demgegenüber Hat Opa einen Anzug an? auf humorvolle Weise: Der kleine Bruno isst nach dem Tode des Opas genussvoll Brot mit Senf, weil der Großvater ihm dies nicht mehr untersagen kann. Nach der ›tröstlichen‹ Nachricht, der Opa sei im Himmel und könne ihn sehen, geht Bruno dazu über, Senfbrote mit der beschmierten Seite nach unten zu essen, damit er nicht erwischt wird.
8 Dabei ist eine geschlechterspezifische Differenz in sofern nicht ganz unwichtig, als dass es für Elslis Bruder Fani einen glücklichen Lebensentwurf im Diesseits gibt; er strebt an, Maler zu werden, und hat wenig Verständnis für die Todesverfallenheit seiner Schwester. Mit Noras und Elslis Dahinschwinden ist Gritlis Kinder kommen weiter in gewisser Weise ein Gegenpol zu Spyris noch erfolgreicheren und wenige Jahre zuvor erschienenen Heidi-Erzählungen, in denen beide zeitweilig vom Tod bedrohten Protagonistinnen ihr Glück im Leben suchen und eine bewegliche Lebhaftigkeit, Appetit und die neugierige Aneignung von Wissen und Welt als erstrebenswerte Attribute dem Bild des dahinschwindenen Mädchens entgegensetzt werden. Auch wenn der alten, kranken und blinden Großmutter ein heilsames Plätzchen im Paradies in Aussicht gestellt wird, bleibt in Heidi der Tod etwas Furchtbares, das es möglichst zu verhindern gilt.
9 Dass dieses Versprechen nicht ganz gehalten werden kann, liegt auch nahe, weil etwa Bellas Vampirfreund Edward zum wiederholten Male die Highschool besucht, um sich auch mit festem Wohnsitz als Mensch ausgeben zu können.
10 Auf der politischen Agenda Voldemorts und seiner AnhängerInnen steht unter anderem die Registrierung, Verfolgung und Ermordung nicht ›reinblütiger‹ Zauberer und Hexen. Nicht nur die RezipientInnen, auch die Autorin selber hat ihn in Interviews widerholt mit Hitler verglichen: »Voldemort is of course a sort of Hitler« (http://www.the-leaky-cauldron.org/2007/11/19/new-interview-with-j-k-rowling-for-release-of-dutch-edition-of-deathly-hallows [14.7.2013], siehe z.B. auch http://www.accio-quote.org/articles/2000/fall00-bbc-newsround.html [15.4.2013]) und seine Ideologien mit denen der Nazis: »The expressions ›pure-blood‹, ›half-blood‹, and ›Muggle-born‹ [Muggel ist der Begriff für nicht-magische Menschen, M.B.] have been coined by people to whom these distinctions matter, and express their originators' prejudices... If you think this is far-fetched, look at some of the real charts the Nazis used to show what constituted ›Aryan‹ or ›Jewish‹ blood.« (Rowling zitiert nach Goldstein 2009, S.74).
11 Voldemorts AnhängerInnen nennen sich Todesser.
12 Der Film vereindeutigt dieses Etwas als »a part of Voldemort sent here to die«.
13 Nachdem Harry wieder zurück unter den Lebenden ist, beendet er den Krieg in einer letzten Auseinandersetzung mit Voldemort, in der dieser sich versehentlich selbst tötet.
14 Auch gibt es keine Grenzen mehr, die die Bewegungsfreiheit einschränken: Die im Kampf demolierten steinernen Wasserspeier, die als Wächter dienten, sagen: »Feel free.«
15 Vgl. Babenhauserheide 2012.
16 Siehe Näheres: Babenhauserheide 2013.
« Zurück