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Mai, 2019:
Ausgabe #10 ist erschienen

Patrick Viol 

Music Of The Living Dead

Die Angleichung von Leben und Tod im Brutal Death Metal      

 

I. Virtuose Männer und tote Frauen

Das Freizeitphänomen Brutal Death Metal1 bedeutet harte Arbeit für die Männer, die ihn spielen. Zuhause gilt es täglich, an Instrumenten oder an hierfür hergestellten Trainingsgeräten sich fit zu halten, um das gespielte Tempo und die Elastizität der Extremitäten bis zur nächsten Probe zu halten. Auf der Bühne bedarf es stets zusätzlicher Ausdauer, um nicht bloß starr dazustehen – »Kopfhänger«2 duldet wie jede Funktionsmusik auch der Brutal nicht. Nicht selten stehen schweißnasse Männer, tätowiert mit Glatzen auf der Bühne, denen die Adern an der Stirn und an aufgepumpten Armen zu platzen drohen. Werden mit Metal auch oft literweise Bier saufende Männer assoziiert – um eine Brutal-Show zu überstehen, muss der Suff bis nach der Show warten. Für solche Disziplin, die in der Demonstration bisher ungesehener und ungehörter spieltechnischer Fertigkeiten resultiert, erlangen Brutal-Musiker nicht nur von Fans Anerkennung. Oft formulieren Außenstehende, dass sie mit der Musik zwar nichts anfangen könnten, aber die spielerischen Fähigkeiten schon sehr imponierend seien. Jedoch nicht nur an der merkwürdigen Musik, sondern ebenso an einem anderen bestimmten Brutal-Charakteristikum stören sich nicht selten Szenefremde, dass das CD-Cover und T-Shirt Artwork meist aus der Illustration brutal zu Tode gefolterter Frauen besteht. Beide Momente, virtuose Kontrolle der Instrumente in einem handwerklich, sportlichen Sinne und illustrierte tote Frauen sind unverzichtbar für Brutal Death Metal. Nachdem ich über viele Jahre selbst in der Szene aktiv war, ohne den Charakter der Musik zu reflektieren, stellt dieser Essay einen Versuch dar, diese Reflektion nachzuholen.

Hierzu so viel vorweg: Dass die Spezifik des Brutal in einer weitereichend versuchten aber ambivalenten Anpassung an den Puls3 liegt und dass durch jene hindurch ein ebenso ambivalenter Bezug des Brutal-Subjekts4 auf die Beherrschung des menschlichen Körpers, auf dessen maschinengleiches Funktionieren sich ausdrückt, bildet die erste These meiner Deutung des Brutal. Die zweite These lautet, dass für das Gelingen wie für das Scheitern dieser versuchten Anpassung symbolisch die Frau zu büßen hat, weil z.B. dort, wo die Beherrschung gelingt, sie wiederum in ihrer Absicht scheitert. Nicht Bedeutsamkeit und unverwüstliche Männlichkeit geht einher mit ihr, sondern Bedeutungslosigkeit und »Verweiblichung«. Insofern wird hier auch versucht, ein Zusammenhang von Musik, Lyrics und Artwork herzustellen. Zunächst aber eine Einordnung des Brutal in die Tradition des Heavy Metal.

II. Brutal in der Tradition des Heavy Metal

Entstanden Anfang der Neunziger, bildet Brutal einen Substil des Extrem Metal, der größten Unterkategorie innerhalb der Tradition des Heavy Metal. Zu jener zählen Thrash (Slayer, Metallica, Megadeth), Black (Venom, Mayhem, Burzum) und Death (Death, Immolation, At the Gates,) Metal5. Letzterer gilt als Weiterentwicklung des Thrash Metal; Brutal als eine des Death Metal.

Extreme Metal zeichnet im Allgemeinen aus: hohes Grundtempo, viele Tempo- und Taktwechsel bzw. die Schichtung verschiedener Tempi, kontrastierende Elemente klanglicher, rhythmischer und dynamischer Natur, ausdifferenzierte technische Fähigkeiten an den Instrumenten, das Absinken der Gesangstimmen in unverständlich gegrölte Tiefen, die Abkehr von Melodik in Richtung Rhythmik und tief gestimmte Gitarren.

Im Death Metal sind zwei Strömungen virulent: US (Deicide, Cannibal Corpse) und Swedish Death Metal (Entombed, Dismember). Ersterer ist tiefer, schneller, schlagzeugbetonter, basslastiger, dumpfer, chromatischer und in Momenten dissonanter als letzterer. Im Swedish Death Metal bleiben trotz enormer Verzerrung der Gitarren eindeutig vernehmbare und im traditionellen Sinne über dem Rhythmus schwebende Gitarrenmelodien im Vordergrund.

Der US Death Metal ist selbst in zwei Strömungen unterteilt, in den Florida (Death, Brutality) und New York Death Metal (Immolation, Morbid Angel, Cannibal Corpse). Die Stadtnamen bezeichnen eigene Stilentwicklungen, die im Zuge der Orientierung an die in der Stadt vorherrschenden Szenen sich vollzogen: Die Tampa Bay Area Floridas galt als Hochburg der Thrash Metal Szene, New York als die der Hardcore Szene.6 Aus dem Hardcore beeinflussten Death Metal entwickelt sich schlussendlich der Brutal Death Metal. In ihn eingegangen sind vor allem sehr schleppende, stampfende Parts7. Brutal ist insofern äußerst schnell und langsam zugleich.

Die ersten der New Yorker Szene entsprungenen Brutal Bands tragen Namen wie Suffocation, Pyrexia und Internal Bleeding. Eine persönliche Auswahl heutiger, avancierter Bands, die dem Stil jener Bands nahestehen, ihren stilistischen Merkmalen aber eine Weiterentwicklung zufügten, heißen: Devourment, Dying Fetus, Heinous Killings, Despondency, Wormed, Defeated Sanity, Gorgasm, Disgorge, Cinerary und Guttural Secrete.

Nach der Auflistung grober Besetzungs-und Stilformen soll es im Folgenden darum gehen, zunächst die musikalische Spezifik des Brutal an den letztgenannten Bands zu entwickeln, um an ihr eine Deutung dessen zu versuchen, was im Brutal zum Ausdruck gelangt.

III. Der Brutal

Grundsätzlich wird Brutal in einer klassischen Bandformation gespielt, wie sie mit der Beatmusik bzw. den Beatles populär wurde. Die Instrumentierung einer Brutal-Band setzt sich daher aus Schlagzeug, E-Gitarre (meist eine), E-Bass8 und (gutturalem9) Gesang zusammen. Nothing more.

Bewusst wird auch auf technisch-elektronische Überschreitungen der Instrumentierung z.B. in der heute gängigen Form von Klangsamples in den Songs verzichtet.

Aber nicht nur die Instrumentierung, auch die Spielweise derselben bleibt klassisch im Brutal. Keine toten Tiere werden über Gitarrensaiten gezogen, keine Äxte in Schlagzeugfelle geschlagen oder ins Mikrophon gepisst, um Klänge zu erzeugen, was aufgrund der Namensgebung anzunehmen nicht weit her geholt wäre. Aber nein. Alles bleibt auch hier beim Alten: Die Gitarren werden mit Greif-und Schlaghand, die Drums mit Sticks und Fußmaschinen gespielt und gesungen wird mit der eigenen, obgleich verstellten Stimme. Und so konservativ die Spielweise, so klassisch die Bandbesetzung: Brutal gibt wohl die eindeutig männlichste Erscheinungsform des Metal ab.10

Die gröbsten Stilformalia sind schnell eingefangen: 2,5 bis 5,5 Minuten dauernde Songs, komplexe Zeitgestaltung, der Gesang entzieht sich in vielen Parts sprachlicher Verständlichkeit, die Gitarren sind tief gestimmt (auf c oder h) und hart verzerrt, das Riffing11 wie das Drumming sind wahnsinnig schnell. Eine Liedstruktur ist aufgegeben, die Reihung von Riffs12 oder deren Periodisierung zu Reihen bildet die Kompositionsstruktur.

Die Komposition besteht aus einem formal komplexen Arrangement13 von Powerchords und Einzeltonfolgen an den Gitarren, Blast14 und Double Bass15 Beats am Schlagzeug und (oft) sehr rhythmischem Gesang.

Das lyrische Hauptthema bildet Gewalt von Menschen gegen Menschen, hauptsächlich von Männern gegen Frauen (Guttural Sectrete, Gorgasm, Disgorge), deren Erscheinungsformen sind Vergewaltigungen, Folter und Nekrophilie. Aber auch Massenmord, begangen von Außenseitern, Hoffnungs- und Ausweglosigkeit, Umweltzerstörung (Brutal zeigt hier und da seinen grünen Daumen) und die Angleichung von Leben und Tod sind häufig Gegenstand lyrischer Beschäftigung. Davon zeugen auch das Cover und T-Shirt Artwork der Bands.

Gilt zwar eine klassische Instrumentierung, so wird technisches Enhancement jedoch nicht exkludiert. Unerlässliches ist das Trigger Modul16 für die Bass Drum, das deren Audiosignal verstärkt. Der mit dem Trigger gezielt veränderte Klangcharakter der Bass Drum, der im nächsten Abschnitt genauer betrachtet wird, hat Teil an der Spezifik des Brutal, weil die Spielweise der Drums an sich bereits ein notwendiges Konstitutionsmoment des Brutal abgibt. Kein Brutal ohne Blast und Double Bass Beats.

IV. Brutale Drums

Die Spielweise der Drums besitzt für die Herausbildung eines Substils des Heavy Metal eine konstituierende Stellung: Während Slayer und Metallica Mitte der Achtziger in ihrem Gitarrenriffing noch an den Heavy Metal Größen Judas Priest und Iron Maiden sich orientierten, erhöhte das Schlagzeug sukzessive das Tempo und die Dichte seiner Bass- und Snareschläge. Diese Entwicklung wird auch als »Aufwertung des Pulses im Ensemblespiel«17 bezeichnet. Der Puls ist die abstrakte, gleichförmige Zeit, die bei allen Songs still mitläuft, zu der nicht selten der Fuß mitwippt. Das rhythmische Ergebnis dieser Entwicklung an den Drums, das zugleich den Übergang vom Heavy zum Extreme Metal markiert, ist die frühe Form des Blast Beats: Er ist die konkrete Kopie der abstrakten Pulsschläge auf der Snare. Den Charakter dieser Puls Betonung18 hält die erste Erscheinung des Extreme Metal mit seinem Namen fest: Thrash Metal. Hier wird ordentlich und zunehmend gleichförmig den Puls betonend in die Felle gedroschen.

Im Brutal kommt es mittlerweile zu Vervierfachungen der Pulsschläge sowohl im Blast als auch in den Double Bass Beats bei viel höheren Geschwindigkeiten als im Thrash Metal. Die Pulsbetonung ist im Brutal nur noch eine konkrete Rhythmusvariante. Hier lässt von einer Anpassung der meisten Drum Rhythmen an die Gleichförmigkeit des Pulses sich sprechen, so meine These. Dass die gleichförmigen Rhythmen überwiegen, ist eine Spezifik für den Brutal. An seinem Drumming ist aber nicht nur das hohe Tempo und die immense Dichte und Gleichförmigkeit der Schläge, sondern auch ihr bestimmter Klangcharakter, speziell der getriggerten Double Bass Schläge, wie die verschiedenen Rhythmen und Tempi für seine Spezifik entscheidend. Diese Seiten des Drummings zu betrachten, folgt nun als erster Schritt zur Deutung dessen, was im Brutal zur Darstellung gelangt.

Organische Maschinen

 Im Brutal sind die höchsten von menschlichen Händen bzw. Füßen spielbaren Geschwindigkeiten und Anzahlen von Schlägen19 zu hören. Darüber hinaus bedürfte man Maschinen. Hier werden nahezu 300 bpm20 erreicht und fast kein Song unterwandert die Grenze von 260 bpm. An den Spieltechniken21 der Double Bass, mit denen bei einer Grundgeschwindigkeit von 300 bpm pro Minute in einem Brutal-Song über tausend Schläge22 erreicht werden könnten (gespielt wird sie stets aber nur einige Takte lang), und dem Wunsch, dass sie präzise und eindeutig hörbar sind, haftet das Erfordernis des Trigger Moduls. Bei traditioneller Mikrophonierung der Bass Drum ließe nur ein sachtes Trommeln sich vernehmen, weil die Schlägel notwendig das Fell nur zu streifen vermögen. Aufgrund seines Preamps und des höchst sensiblen Sensors, befestigt an der Bass Drum, verwandelt der Trigger die zarteste Berührung des Fells in einen hörbaren Schlag.

Zu Gehör gelangt jedoch ein elektronisch erzeugter. Der Trigger verstärkt nicht den Klang des natürlichen Resonanzkörpers der Bass Drum, sondern transformiert das vom Schlägel an den Trigger gegebene Audiosignal in einen am Preamp nach Wunsch elektronisch kreierbaren. Der Resonanzkörper der Bass Drum wird somit überflüssig. Möglich wäre, dessen natürlichen räumlichen Klangcharakter vermöge des Trigger Preamps beizubehalten, indem er elektronisch imitiert würde. Darauf wird im Brutal verzichtet. Insofern ist auch kein Abfall der Tonlautstärke zu hören. Es ist stets der gleiche Ton vernehmbar. Soviel zur Beschreibung der elektronischen Bedingung des Drummings, nun zu ihrem Klangeffekt:

Die Möglichkeit des Nachhalls und dessen Räumlichkeit suggerierender Klangeffekt ist getilgt. Der Klang einer maximal schnell und durchgängig gespielten Double Bass ähnelt stark dem eines fest in die massiven Eisenspeichen eines sich sehr schnell drehenden Rades gespannten, dicken Stück Leders. Die unverzichtbar in vielen Parts durchlaufende Double Bass Drum im Brutal erinnert daher an die kindliche Imitation eines Motors, die einst am eigenen Kinderfahrrad sich befand. Dieser Klang der Double Bass bildet ein den Brutal charakterisierendes Spezifikum. Er ist jedoch nicht auf die Bass Drum konzentriert, auch die Toms und die Snare sind oft dumpf in ihrem Klang. Verwendete Cymbal Chockes23 kassieren auch den Nachhall der Becken. Das verleiht im Spiel den Schlägen auf die Felle einen metallischen Beiklang, der eine zusätzliche das Schlagzeugspiel verdichtende Wirkung erzeugt.

Im Blast Beat Part – in einem Brutal-Song unerlässlich wiederkehrendes Moment – entfaltet sich die volle Wirkung der schnellen, dichten Schläge in Verbindung mit dem komprimierten, enträumlichten, aber nicht gänzlich veränderten Eigenklang der Felle: In der Anpassung an den Puls, an den starren, monotonen Rhythmus seiner Schläge gleicht das Schlagzeug für die Taktlängen der Blast-Beat-Parts der Klangform des Ablaufs einer massiven Maschine sich an. Der veränderte, aber nicht ganz getilgte Eigenklang seiner Felle jedoch – das Stück Leder im obigen Beispiel soll das verdeutlichen – verleihen der Form einen bestimmten Klanginhalt: die Genesis eines Organischen zum Mechanischen; er verweist auf die Einsenkung eines Organischen in die Form eines mechanisch Ablaufenden. In einem elektronisch möglichen, reinen Maschinenklang also, geht das Drumming nicht auf. Vielmehr erscheint durch die Anpassung an den Puls in einer mechanischen Klangform ein organischer Klanginhalt.

Sowohl im Rhythmus als auch im Tempo zeigt sich ebenso, dass im Brutal nicht bloß ein sich gleichbleibender mechanischer Ablauf ertönt, auch wenn dieser Höreindruck überwiegt: Einerseits stehen bestimmte Puls umspielende, ihn nahezu einbrechen lassende, fast stolpernde, gänzlich der gleichförmigen Schlagabfolge entzogene Rhythmen, die sich nicht wiederholen, der Anpassung an die Maschine entgegen. Hinzutritt in diesen Parts ein radikaler Einbruch des Tempos wie oftmals ein Verzicht auf Rhythmusformeln und festgelegte Metren (Defeated Sanity), wodurch im ersten Moment eine verdutzende Orientierungslosigkeit im Drumming sich einstellt. Auch geht die Möglichkeit, einen Takt eindeutig zu identifizieren, manchmal in ihnen verloren. Davon betroffen wird auch der Klangcharakter: seine Geschlossenheit, der Verlust erklingender Räumlichkeit, wird zeitweise aufgebrochen, obgleich der komprimierte Klang der Bass vorhanden bleibt. In den meisten Fällen setzt nach einem Durchgang solcher Parts die gleichförmig durchlaufende Double Bass wieder ein. Die Snareschläge bleiben oftmals aber ungleichförmig. Andererseits – darauf verweist die wieder einsetzende Double Bass – stellen Tempoeinbruch und -variation für sich selbst ebenso einen Ausdruck der Anpassung an den Puls dar: denn oftmals ist es ein Schein des Tempoeinbruchs. Im Slam Part wird dieser erzeugt durch Teilungen der Pulsbetonung24, das Grundtempo bleibt dabei erhalten. Defeated Sanity, Disgorge, Despondency und Wormed z.B. lassen diesen klanglichen Gegensatz von Mechanischem und Organischem und die rhythmisch gegensätzlichen Erscheinungsweisen der Anpassung an den Puls stets ertönen; dies bildet eine Spezifik des Brutal.

V. Brutaler Gesang

Der neben den Drums vordergründige Träger charakteristischer Merkmale des Brutal ist der gutturale Gesang, der von der menschlichen Stimme in der Kehle unter Zuhilfenahme der falschen Stimmbänder erzeugt wird. Bezeichnungen, die seine diversen Klangerscheinungen im Brutal einzufangen versuchen, sind: Grunting, Growling, Choking, Gargling, Snarling, Pig Squealing, Frog Noise, »Predatoring«. Im Death Metal findet primär das Grunting und Growling seine Anwendung, welches durch akzentuierende Schreie erweitert wird.

Im nächsten Abschnitt sollen die verschiedenen Klänge der Gesangstechniken im Brutal dargestellt und von ihnen aus auf die Melodik25 des Gesangs hin reflektiert werden. Es wird sich zeigen, dass auf eine bestimmte Weise der Gesang dem Drumming sehr ähnlich in der Anpassung an den Puls sich verhält, weshalb er auf dessen Darstellung folgt.

Maschinenwölfe, Schweine und Woody Woodpecker

 Im Brutal werden ab der zweiten Hälfte der Neunziger die Grunts und Growls zu Varianten des Gesangs neben anderen. Typisch für Brutal in seinen beispielhaft fortgeschrittenen Formen Disgorge, Wormed und Despondency sind Stimmen, deren menschlicher Charakter in vielen Gesangparts sich vollends verliert und die sich u.a. Raubtier-und Maschinengeräuschen annähern. Folglich also die Beschreibungen der Gesangstechniken und wonach sie klingen.

Grunting und Growling werden oft synonym verwendet, jedoch ist erstes gedrückter und verzerrter, zweites etwas offener vom Klang. Beide lassen sehr tiefe, verzerrte menschliche Stimmen und Worte durchklingen.

Das Choking bildet den Klang eines tiefen Würgens, dem kein Erbrechen folgt, sondern trocken bleibt.

Gargling beschreibt zunächst den Klang eines Gurgelns ohne Wasser. Nicht selten dem Klang vergleichbar, den der Versuch erzeugt, auch noch den letzten Rest Schleim hinter den Mandeln hervorzuholen. Dabei wird der Mund zu einer Höhle geformt, die dem Gurgeln Tiefe verleiht. Der Klag erinnert nicht selten an ein rhythmisches Öffnen eines massiven Steinsarges. Indem man vermag – wie Joe Wolfe von Heinous Killings – dem trockenen Gurgeln ein Knurren und Zungenstöße26 hinzuzufügen, gerät ein Geräusch, das einem vollautomatischen, endverzerrten Wolf gleicht, dessen Audioplayer beim Abspielen seiner Sounddatei hängen blieb. Das Raubtier und die Maschine in einem. Matti Way von Disgorge/Cinerary beherrscht es, seinem Gurgeln an manchen Stellen den Klang zu verleihen, als füllte sein Mund sich währenddessen mit kochender, viskoser Flüssigkeit. Blue Jensen von Guttural Secrete weiß im booklet von Reek Of Pubescent Despoilment selbst zu illustrieren: sein Gesang klinge nach gegurgelter Vaginalflüssigkeit (gargled vaginal seepage).

Das Snarling lässt für kurze Zeit menschlichen Kehlen einen sehr wütend und tief knurrenden Wolf innewohnen.

Die bisher genannten Gesangsstile sind in ihrer Tiefe durch menschliche Stimmen nicht zu überbieten.

Das »Predatoring« oder der Predator snarl ist höher und hohler als das Snarling geraten, vergleichbar dem Trommeln des Helmspechts, dessen Jagdtätigkeit und Lockruf in einem. Wer bei Predator snarls also nicht nur an Schwarzeneggers Widersacher aus dem All, sondern ebenso an Woddy Woodpecker denken muss, erlag keiner Täuschung seiner Ohren27.

Pig Squeals klingen wie ein schreiendes Schwein, dessen Schlachtung gerade beginnt und Frog Noise28 imitiert einen dicken, dösenden Frosch. Diese Techniken erreichen sehr hohe Tonlagen, ersterer stärker als letzterer. Joe Wolfes Pig Squeals nehmen beinahe den Klang zirpender Grillen an.

Angesehene Brutal Sänger (Matti Way von Disgorge/Cineray, Konstantin Lühring von Despondency/Defeated Sanity) beherrschen die gesamten Stile, die sie nicht bloß auf verschiedenen Gesangparts, sondern ebenso auf die Silben eines – soweit noch vorhanden – Wortes verteilen. Manche beherrschen auch die Kombination von einzelnen Gesangsstilen.

Zu dieser Verfremdung menschlicher Stimmcharaktere bedarf es stets klassischer Gesangstechniken, vor allem derjenigen, die Atmung und die gezielte Anwendung von Stimmbändern, aber auch das Aushalten von Schmerz29 betreffen. Dass die verschiedenen Gesangcharaktere im Brutal nicht elektronisch erzeugt werden, sondern dass sie technischer Fertigkeiten bedürfen, die menschliche Stimme zu beherrschen, darauf wird nicht selten hingewiesen: »No vocal effects have been used on this recording.«30 Auch im Gesang – wie im Drumming – vollzieht sich eine Angleichung von Organischem ans Mechanische.

Verständliches Unverständliches

 Mit den Brutal typischen Techniken der Verfremdung geht nicht nur beinah der menschliche Charakter der Stimmen, sondern auch die Verstehbarkeit der zumindest im booklet teilweise festgehaltenen Lyrics verloren. In vielen Gesang Parts von Joe Wolfe und Matti Way wird auf Worte gänzlich verzichtet. Trotzdem aber, um den Preis maximaler Stimmentiefe und -verfremdung, finden in jedem Song sich verstehbare, tief gegrölte Textzeilen. Sie erinnern an einen menschlichen Stimmcharakter. Er wird, wie der Gesang von Worten, folglich auch nicht gänzlich getilgt.

So erscheinen aufgrund seiner verschiedenen Verfremdungstechniken auch am Gesang klangliche Gegensätze: von Verständlichem und Unverständlichem; von Mensch und Maschine, Mensch und Tier, Tier und Maschine; von Organischem und Mechanischem bzw. Anorganischem; von Bedrohlichem und Komischem; von Natürlichem und Künstlichem. Und in den Gegensatz zu dieser gehörten Uneindeutigkeit der Klangcharaktere des Gesangs und dessen Unverstehbarkeit tritt eine durch den Abdruck der Lyrics im booklet versuchte Eindeutigkeit und Verstehbarkeit des Gesangs:

Laying limbless, crippled and writhing/Mouth fixed open, jawbone shattered/Carcass previously slaughtered/Hung and emptied over your face/Tasting the putridity/Stimulates vomiting reflex/Repeated cycle of regurgitation/Til asphyxiation ends your life
(Engulfed in Excruciation, Defeated Sanity31)

Strap it on tight! Putrid cunt, feel ist cut deep, into your cheeks, bood leaks, down your pretty face, come and fuck me, please don´t cry, just place your ass in the air! SO I can pund your waste hole into oblivion, tearing your inner wall with my dick, forcing pain through your body, bitch stop crying. Ill gag you with razor wire!
(Razorized Ball Gag, Guttural Secrete32)

Abgewürgte Melodie und unentschiedener Rhythmus

 Durch die Stimmtechniken extremer Tonhöhen und –tiefen bzw. der Verfremdung der menschlichen Stimme, mit der eine Spärlichkeit an gesungenen Worten einhergeht, verändert sich auch die Erscheinungsform der gesungenen Melodie33. Da Gesangsmelodien gemeinhin am natürlichen Sprachrhythmus sich orientieren, wird übliche vokale Melodik im Brutal buchstäblich abgewürgt.

Doch im Brutal ist die Melodie nicht verschwunden. Sie ist verändert. Ihrer Abschaffung steht bereits die faktische Unmöglichkeit entgegen, mit menschlicher Stimme gänzlich ohne Melodie sich audrücken zu können, selbst dann nicht, wenn Fuselier auf Parallels Of Infinite Torture dahinknurpst oder Joe Wolfe auf Hung With Barbwire seinen stotternden, verzerrten und vollautomatischen Maschinenwolf oral entfesselt. Jede Mundbewegung hat direkte Auswirkungen auf die Tonhöhe. Das bedeutet, allein der Übergang34 von der einen zu der anderen Gesangstechnik (nicht selten bereits zwischen zwei Stimmstößen) erzeugt bereits Melodie, wenn auch in reduziertestem Maß. Sie ist nämlich nicht mehr als die zeitliche Abfolge von Tönen verschiedener Höhe.

Im Gegensatz zu Gesangsmelodien mit einem durchweg menschlichen Sprachcharakter und -rhythmus lässt die durch die Stimmtechniken im Brutal sich hindurch vollziehende spezifische Veränderung der vokalen Melodik sich begreifen. Melodien vokaler Melodik orientieren sich am natürlichen Sprachrhythmus z.B. der Wortsilben. Zu deren Melodisierung übersteigert vokale Melodik die im natürlichen Sprachduktus bereits vorhandenen Tonintervalle. Stellte man sich eine Melodie als eine Gerade vor, in die jeder gesungene Ton einen Bogen schlüge, sie nähme sich bei klassischer vokaler Melodik gebirgsartig aus, mit vielen sehr verschieden hohen Bögen. Die abgewürgte Melodik im Brutal würde im allgemeinen Verlauf flacher, lange Strecken über ließen sich gar keine Bögen blicken. Und diejenigen, die sich zeigten, wären dem Höhenunterschied vergleichbar, der von verschiedenen Toms her resultierte. Vokale Melodik gleicht im Brutal der instrumentalen von Schlaginstrumenten sich an, erlangt einen schlaginstrumentellen Charakter. Die menschliche Stimme erscheint im Brutal über viele Parts als Rhythmusinstrument mit der eigenartigen Fähigkeit zu vokaler Melodik. Die Stimme im Brutal ist daher sowohl Rhythmus- als auch Melodieinstrument, der Sänger ›Half Man, Half Machine‹.

Einher geht mit der Monotonisierung der Melodie sowohl eine Entfaltung ihres notwendigen Mittels, des Rhythmus, als auch dessen Monotonie. Für Gesangsrhythmen im Brutal ist der Verzicht auf Rhythmusformeln und festgelegte Metren charakteristisch. Die Monotonie der Melodie wird somit einerseits durch variable Rhythmen und Metren kontrastiert. Die Wiederholung eines Gitarrenriffs garantiert nicht zwingend eine des gesanglichen Rhythmus, und dessen Wiederaufnahme wiederum keine des Metrums, wie es im Heavy bis zum Death üblich ist, in dem zwar tief gesungen wird, aber vokale Melodik vorherrschend bleibt. Mag auch an manchen Stellen der Rhythmus, ja sogar das Metrum sich wiederholen, dass derselbe Stimmcharakter zu Gehör tritt ist damit nicht garantiert. Andererseits ist der Rhythmus an manchen Stellen schier monoton und gleichförmig, stark z.B. bei Disgorge und Devourment zu hören. Im Brutal, so lässt sich zusammenfassen, erfährt der Gesang eine melodische Monotonisierung, die sowohl mit rhythmischer Abwechslung als auch rhythmischer Gleichförmigkeit einhergeht.

Der Gesangsrhythmus ist jedoch nicht nur monoton und abwechslungsreich, er changiert auch zwischen der Absetzung vom Ensemblerhythmus und der Einreihung in eine rhythmische und metrische Parallelität aller Ensemblestimmen. Dass jene gänzlich parallelen Formteile des Brutal oft den Slam und den Blast bilden, mag ihre Namen erklären.

Schließlich also passt auch der Gesang dem Puls sich an: Ausdruck dessen ist die Zueignung eines schlaginstrumentellen, perkussiven Charakters der Melodie. Zugleich geht er in diesem nicht auf, bricht doch vokale Melodik stellenweise ein, wie ebenso in seiner formalen Perkussivität sich gegensätzliche Klangcharaktere ergeben: einerseits der von Maschinen, deren entscheidende Symbolik wohl in der Vergegenständlichung ewiger, abstrakter Zeit liegt, in welcher wiederum die Anpassung sich durchschlägt; anderseits der von tierischem, kurzem und kränklichem organischen Leben, von Verfall. Hinzutritt weiter, dass er als Rhythmusinstrument einerseits gegen den Rhythmus des Ensembles aufbegehrt, indem er ihn in seiner Komplexität überragt, während er sich ihm andererseits in manchen Parts gänzlich gleichmacht.

Eine nicht weniger ambivalente Anpassung an den Puls zeigt sich auch am Riffing der Gitarre, das im Folgenden zur Betrachtung steht.

VI. Brutale Gitarre

 Im Extreme Metal ist der Gitarrenklang insgesamt tief, komprimiert, rau, Höhen reduziert und die Nuancen des Gitarrenspiels verlieren ihre Hörbarkeit.

Im Brutal erfolgt eine starke Erhöhung der Bässe, der Tonmenge und der Geschwindigkeit wie der Ausweitung der Palm Mute35 und Speed Piking Technik36 auf fast alle Riff Parts. Dies lässt ihn im Gegensatz zum transparent gestalteten Ensembleklang des Heavy Metal überwiegend massiv und undursichtig erscheinen. Einer Wand oder einem Brett zu gleichen, ist das nicht selten gefällte Urteil in der Brutal Szene über ein herausragendes Album. Es bezieht seinen Stoff zudem daraus, dass vor allem der Gitarrenrhythmus oft zu dem der Drums parallel erklingt. Zugleich wird diese Massivität von Slam und offen gespielten Riffs (selten) gebrochen. Der Klangcharakter verhält sich somit ähnlich wie der des Drummings.

Dies vorweggenommen, soll es im nächsten Abschnitt darum gehen, das Riffing auf seine Rhythmusgestaltung, auf seine Melodiebildung (die im Brutal aus darzulegenden Gründen unabhängig von den Bands sich reproduziert), und auf reihende Kompositionsstruktur hin zu untersuchen, um den Charakter des Riffings zu begreifen. Den entscheidenden Aspekt der Betrachtung bildet auch hier die im Riffing sich vollziehende Anpassung an den Puls und ihr Scheitern.

Unvermittelte Einbrecher

 Gitarrenriffs bzw. Riff Parts im Brutal – wie in jeder Rockmusik seit den Beatles – bestehen formal aus (meist abgedämpften) Powerchordprogressionen und Einzeltonfolgen. Die verschiedenen Rhythmusfiguren im Brutal sind gestaltet aus: Puls betonenden, denselben Notenwert andauernden, abgedämpften oder/und offen gespielten Powerchords (grundlegender Brutal-Riffing-Rhythmus, Brutal-Part37), den Puls offen oder/und gedämpft mit gleich oder/und verschieden andauernden Notenwerten umspielenden Powerchords (mit Pausen); offenen (Mosh Part) oder/und gedämpften (Slam Part) den Puls teilenden, verdoppelnden38 oder »n-tolisch«39 vervielfachenden (Blast Part), mit gleichen oder/und ungleichen Notenwerten gespielten Powerchords. Gitarrenrhythmisch bedeutet Anpassung an den Puls erstens, dass dessen ideeller Rhythmus, seine Gleichförmigkeit auch auf Riffs übertragen wird, in denen die konkreten Anschläge die abstrakten Pulsschläge nicht be- bzw. vertonen, sondern teilen oder vervielfachen; und zweitens, dass die einzige Variierbarkeit, die der Puls besitzt: in seinem Tempo zu differieren, ebenso ein vordergründiges Gestaltungsmittel des Riffings darstellt.

Die Rhythmen (ausgenommen sind die Mosh Parts) treten auch als Einzeltonfolgen auf. Deren häufigste und charakteristische Erscheinungsweisen bilden einmal die Blast Beats40 und zum anderen die lediglich offen gespielten Einzeltonfolgen, wobei die Greifhand auf dem Pulsschlag die Töne wechselt, die Schlaghand aber z.B. bei einem Puls von 8teln durchgehende 32tel spielt. Sie treten marginal auf. Im Death Metal gibt dies das typische Riffing ab, jedoch mit einer den Pulsschlag teilenden Tonfolge.

Den Brutal zeichnet gitarrenrhythmisch aus, dass Riffs überwiegend in der Form von Brutal und Blast Parts erscheinen und es in ihnen momenthaft (ein bis zwei Pulsschläge lang) zu Störungen des Fortlaufs durch rhythmische Abweichungen kommt. Dies verleiht der vom Puls übernommenen gleichförmigen Schlagabfolge ein Metrum, welches das Riff kurzzeitig der Gleichförmigkeit entschlägt. Ebenso auszeichnend ist, dass in den Riffs, die weder als Brutal noch als Blast Part erscheinen, die anderen Rhythmusfiguren auf engsten Raum geballt erscheinen, so dass sie nahezu irre, unkontrolliert klingen. Damit geht einher, dass unbeirrt gleichförmig fortlaufende unvermittelt auf abrechende, stockende, stolpernde Riffs prallen. Das schließt auch das unvermittelte Aufeinanderprallen von Blast und Slam Parts, folglich von gravierend verschiedenen Geschwindigkeiten ein.

Brutale Rhythmusgestaltung ist wesentlich gegensätzlich, sie changiert – bildlich gesprochen – zwischen maschineller Kaltblütigkeit und rauschhaftem Exzess, Starrheit und Wildheit; sie ist vorpreschend wie einbrechend. Insofern ist die Anpassung an den Puls einerseits nicht ungebrochen, andererseits ergeben manche Gegensätze (die verschiedener Geschwindigkeiten) sich erst aus ihr: Im Riffing drückt sie in gegensätzlichen Erscheinungen sich aus.

Die Gegensätze im Brutal-Riffingrhythmus zeichnen dadurch sich aus, dass die abgedämpften, schnellen, gleichförmigen, den Puls betonenden oder ihn konkret vervielfachenden Riffs überwiegen und die gegensätzlichen Rhythmen stets als unvermittelt einbrechende erscheinen.

Doch ist das Brutal-Riffing nicht bloß Rhythmus, im Gegenteil: es ist wesentlich melodisch. Insofern bildet den nächsten Abschnitt die Betrachtung der doch eigentümlichen Melodiegestaltung im Brutal.

Monotone Abwechslung

 Erste charakteristische Regel brutaler Melodiebildung: dass in einem Riff nahezu bei jedem Anschlag ein Tonwechsel erfolgt, d.h. dass z.B. in einem Puls betonenden Riff zu den abstrakten Pulsschlägen stets der konkrete Ton wechselt. Vom Heavy bis hin zum Death sind in einem Riff Puls betonender Rhythmus-Part und melodisch gestalteter Part, ebenso wie die Spielweisen fein säuberlich aufgeteilt. Im Ersten ertönt meist amelodisch ein abgedämpfter Powerchord, im Zweiten eine vom Puls-Rhythmus abweichende, offene Einzeltonfolge.41 Im Brutal-Riffing hat solche Aufteilung zwischen Melodie-Part und gleichförmigen Rhythmus-Part nicht mehr statt: Sie gehen ineinander über, die Palm Mute Technik gewinnt die Oberhand. Melodie erfährt im Brutal eine Puls betonende Rhythmisierung, Puls betonender Rhythmus eine Melodisierung – totale Abwechslung, Vielfalt der Töne in Form der Monotonie.

Diese Ensemblerhythmusbindung der Melodie findet sich auch in nicht Puls betonenden Parts, ebenso wird auch vom tonalen Wechselzwang in ihnen nicht abgelassen. Melodie ist somit in Brutal-Riffs – wie es gleichwohl möglich wäre – nicht getilgt, sondern ihre rhythmische und technische Gestaltung ist – wie der grundlegende Ensemblerhythmus – dem Puls angepasst. Dafür steht auch ihr überwiegend perkussiver Charakter. Als dem Puls angepasste versetzt sie das Riffing in nicht endende melodische Bewegung. Dadurch wird hier in einem Riff derart viel an musikalischem Material durchgezogen, wofür manche Musikstile ganzer Songs bedürfen. Zu Tönen besteht im Brutal ein quantitatives Verhältnis. Dessen Qualität drückt in der im Folgenden zu betrachtenden zweiten Melodieregel des Brutal sich aus, nach welcher die Töne organisiert werden: gegen einander gleichgültig.

Fast leer gestopft

 Mit der Pulsbetonung und dem mit ihr einhergehenden Anstieg des Tempos im Heavy Metal – ein Powerchord lässt doch recht leicht schnell sich spielen – wird Chromatik aus ihrer Existenz als Durchgangstation im Blues befreit. Fingersätze wie 5/6/5/4 und ihre Spiegelung 4/5/6/5 z. B. auf der 

A-Saite werden zur melodischen Kompositionstechnik, weil sie nah zusammenliegen, also schnell spielbar sind. Im Brutal werden diese zu sehr, sehr langen Ketten42. So bildet nicht der harmonisch-tonale Funktionszusammenhang, sondern die materielle Beschaffenheit des Gitarrengriffbretts hier die kompositorische Grundlage.43

Bis hin zum Death bedeutet Chromatik jedoch nicht den Verlust des Grundtons44. Dieser geht erst im Brutal verloren. Die zwölf Töne sind in seinem charakteristischen Riffing tonal befreit, bzw. atonal45 organisiert, aber mit vornehmlich chromatischen, d.h. engen und dissonanten Intervallen (viele kleine und große Sekunden). Dies ist der Ausdruck der Anpassung an den Puls nach der Seite der Melodie hin; dass sich sein Schlag um Schlag als Tonwechsel in Permanenz und die Gleichheit seiner abstrakten Schläge an jeder Stelle seines Fortlaufs als Gleichgültigkeit der Töne zueinander niederschlagen.

Die in einer horrenden Tonmenge resultierende Anpassung der Melodiegestaltung an den Puls gerät jedoch in einen Widerspruch zum Höreindruck: Einerseits geht mit ihr einher, dass der melodische Verlauf vollgestopft wird mit einem ungeheuren Umfang an Tonmaterial, während es andererseits in seinem konkreten, schnellen und gleichförmigen Vollzug (ebenso konkrete Erscheinung der Pulsanpassung) so klingt, als ob er so gut wie leer wäre: Das faktisch gespielte da-du-di-do-da-de-do-di ertönt als da-de-de-de-da-de-da-de, bei sehr starker Verzerrung nicht selten sogar als dschszszdszssdsch46. Vergleicht man das Zahlenmeer in der Tabulatur mit dem Höreindruck, lässt die These sich aufstellen, dass die Anpassung des Riffings an den Puls gleichbedeutend ist mit einer Anpassung an ihr Wesen: Bewegung um der Bewegung willen, die mit der Gleichgültigkeit dessen einher geht, was konkret sich bewegt: die Einzeltöne. Diese beiden Resultate lassen auch an zwei weiteren Momenten des Riffings sich zeigen: an dem Charakter der Melodie und seiner Struktur, der Reihung von Riffs.

Blind geht´s vorwärts

 Brutal-Melodie besitzt den Charakter blinder Bewegung: auf kein Ziel läuft die Melodie hier hinaus, auf keinen Höhepunkt, keinen Tiefpunkt, auf keine Auflösung ihrer Dissonanz, aber stehen bleiben ist auch nicht drin. Diese Bewegung drückt in gegensätzlichen Erscheinungsformen sich aus: Einmal schreitet sie einfach voran, hält ihren Tonwechsel durch, ganz gleichgültig gegen sie trägt – der Rhythmus der konkreten Tonfolge – ob er stolpert, flüchtet, fällt oder erlöscht. Vor dem unablässigen Voranschreiten der Melodie erscheint ihre konkrete Gestaltung als flüchtig und letztlich irrelevant. Ob im Riff auf der E-Saite nun 2/3/6/7 oder 3/2/6/7 ertönt, ob ein gleichförmiger oder chaotischer Rhythmus hörbar ist, es spielt keine Rolle für das melodische Voran. Es hätte daher an der Stelle der ersten auch die zweite Folge ertönen können.

Anders als voranschreitend erscheint die Melodie, wird am Anfang und am Ende mancher abgedämpfter Riffs ein auffälliger Ton offen gespielt. Das verleiht ihm ein Metrum. Dies suggeriert momenthaft im Höreindruck ein gegen das Voran aufmuckendes Hin-und-Her. Doch bereits am Bild der Uhr, an ihrem Zeiger wie an ihrem Pendel, zeigt sich, dass das Voran abstrakter Zeit ebenso eine Kreis- wie Hin-und-Her-Bewegung bedeutet.

Anpassung an den Puls im Brutal heißt also tatsächlich auch, dass das Wesen abstrakter Zeit: zielloses, leeres und ewiges Fortlaufen wie das Ticken der Uhr, Bewegung um der Bewegung willen im Charakter der Brutal-Melodie sich ausdrückt, ist diese nun voran-, kreis-oder hin-und-herbewegend.

Es bleibt nun noch die Strukturebene zu betrachten: in welchem Verhältnis die Reihung von Riffs, die an sich die stete Unterbrechung eines Fortlaufs bedeutet, zur Anpassung an den Puls steht. Es wird hier nun das unvermittelte Aufeinanderprallen gegensätzlicher Riffs reflektiert.

Kontinuität durch Diskontinuität

Würde hier behauptet, im Brutal gelangte an seinen Techniken, Formen und dem konkreten Spiel lediglich die Anpassung an das Wesen abstrakter Zeit zum Ausdruck, bliebe unverständlich, warum nicht Schluss ist, nachdem ein Riff im gleichförmigen Rhythmus des Pulses so schnell als möglich gespielt wurde. Denn nicht selten sind 7 bis 1447 verschiedene Riffs in einem Song angehäuft, die stets unvermittelt einander ablösen. Der Wechselzwang im Riffing reproduziert sich auf der Strukturebene als steter unvermittelter Neuanfang von Riffs.

Auf der Ebene der melodischen Gestaltung des Riffs ist ihm verweigert, durch seine Entfaltung in sich selbst ein Ende zu finden; so erfährt jedes Riff nach einigen in der Zahl nicht festgelegten Wiederholungen seiner Figur ein willkürliches Ende: In seinen Vollzug bricht unvermittelt ein neues, das es beendet. Abstrakte Zeit jedoch kennt kein Ende, ihr Begriff ist dessen Negation.

Jedoch geht der Einspruch nicht ganz auf. Es ergibt sich zwar ein Widerspruch zwischen dem aus der melodischen Gestaltung resultierenden blind fortlaufenden Charakter der Riffs und den unvermittelten, unterbrechenden Neuanfängen von Riffs, aber diese unvermittelten Abbrüche stehen dem abstrakten Fortlauf selbst zur Seite. Aufgrund der unvermittelten Reihung von Riffs ergibt sich ein Voran auf zweiter Ebene: Die Riffs sind in sich vollgepackt mit dissonanten Intervallen. Die einzelnen sind, wie gezeigt, nie recht zu hören, aber dadurch, dass verschiedene Riffs unvermittelt aufeinander prallen, erscheint es so, als ob dissonante Blöcke gegeneinander stehen, die auf ihre Auflösung drängen. Durch solche Reihung ergibt sich eine Spannung in Permanenz, eben weil die melodische Gestaltung aller Riffs dem Charakter nach gleich ist. Somit wird die Spannung nie aufgelöst. Sie wird im Verlauf eines Stückes, durch die Reihung eher gesteigert, z.B. indem durch den im Brutal typischen Wechsel zwischen Blast und Brutal Parts, also durch den Moment des Bruchs, selbst ein Schein der Auflösung suggeriert wird, der aber von der folgenden Tonfolge konterkariert wird. Die uneingelöste Auflösung erzeugt umso stärkere Spannung. Ihre Lösung wird vor sich hergeschoben; ihre Abwesenheit bedingt das Voran auf zweiter Ebene. So setzt vermittels der unterbrechenden Struktur ein unablässig vorantreibender Charakter sich durch, Kontinuität durch Diskontinuität.

Und somit sind die gestalteten Riffs selbst wie die konkrete Folge ihrer Töne für den fortlaufen Charakter irrelevant. An der Stelle des einen hätte auch ein anderes Brutal Riff folgen können. Sie lösen daher einander nicht bloß ab, sondern sie sind gegeneinander austauschbar, für den Fortlauf eine notwendige Funktion, insofern aber eine unbedeutende Menge.

So gelangt an der Reihung sowohl die Anpassung an den Puls als auch ein Versuch, ihr zu entkommen, zum Ausdruck.

Was dieser ambivalente Ausdruck, selbst die mit dem Kapital vermittelte »innere Komposition des Individuums […]«48 in sich selber sowohl »als Produktionsmittel«49 und »lebende[r] Zweck«50 zugleich bestimmt zu sein, betreffend zur Darstellung bringt, das wird im Folgenden zu deuten versucht.

VII. Brutale (Dis)Harmonie

Im folgenden Schlussteil soll zunächst der mit der ambivalten Anpassung an den Puls sich einstellende Charakter des Ensemblespiels gefasst und an ihm schließlich gezeigt werden, was an ihm in der oben genannten Perspektive sich ausdrückt. Das, was sodann zur Darstellung im Brutal gelangt, soll bündig in eine Konstellation mit dem Begriff der Virtuosität und dem frauenmörderischen Artwork gebracht werden.

Life sucks…and then you die

Mit der Anpassung an den Puls hat Brutal-Melodie einem Fatalismus (der Beschissenheit, von sinnloser Bewegung in Permanenz) sich überantwortet und treibt fast regungslos zu auf das einbrechende Ende. An ihr lassen so gut wie keine der Anpassung entgegenstehende Momente mehr sich fassen. Life sucks….and then you die – das bringt ihren Gehalt auf einen sprachlichen Ausdruck. Ihre permanente Bewegung und die Anhäufung von Tonmaterial, ihre melodische wie riffing-formale Verlebendigung im Vergleich zum Death lässt als Angleichung ans Leblose sich fassen. Stellenweise ist der Klang verschiedener Riffs vom Verrücken verschieden schwerer Steine, wie der des Ensembles von einer Wand, ununterscheidbar. Auch stellt die von mir als Bild bemühte graphische Darstellung der Brutal-Melodie als Linie – inklusive der des Gesangs – mit ihren niedrigen Ausschlägen die EKG-Linie eines Sterbenden dar. Die aus der Anpassung sich speisende dauerende, blinde, gleichförmige Bewegung des Ensembles bildet das Medium, wodurch es beinah völlig leblos erscheint. Die rhythmischen Eingriffe der Gitarre wie des Ensembles, die nicht wie der Wechsel der Geschwindigkeiten selbst wiederum Ausdruck der Angleichung ans Leblose sind, erscheinen sodann als Zuckungen eines noch Lebendigen, verweisen auf körperliche Regungen, die gegen das Sterben sich wehren. Die fast taumelnden Drumrhythmen, die einbrechende menschliche Stimme, die noch etwas zu sagen versucht, die auf der formalen Ebene statthabende Unvermitteltheit der Riffs: allesamt verweisen diese fast flüchtigen Momente durch ihren Gegensatz zur Anpassung an ewiges, mechanisches Fortlaufen auf den nicht gänzlich getilgten Wunsch des Lebendigen nach einem Ende der Anpassung ans Leblose. Das Willkürliche Ende eines Riffs lässt als dessen stärkster Ausdruck sich fassen.

Organische Zusammensetzung des Individuums

Was demnach durch die Darstellung des Brutal sich Ausdruck hindurch verschafft, so meine These, ist die von der Übermacht des Leblosen bedrohte Restsubjektivität im Naturhaften des Körpers, die ihr u.a. in der Form der Erschöpfung bleibt, und die sich für konkret-lebendige Finger, Füße und Stimmbänder einstellt, versuchen sie dem abstrakten Zeitverlauf sich anzupassen. Insofern stehen die Momente, die der Anpassung an den Puls noch entgegenstehen, für deren Scheitern, sie wird von jener noch lebhaften Subjektivität gebrochen. Die Reihung erscheint hiernach als Versuch, es abzuwenden. Denn auch jener Restbestand von Subjektivität als aufmuckendes, naturhaftes Moment soll noch getilgt werden. Er steht für Schwäche. Dass er bereits prekär wird, das drückt ebenso sich aus. Es zeigt sich am Slam Part, der vom Moment der Erschöpfung51 zwar nicht zu trennen ist, aber dem melodischen Voran keinen Abbruch tut. Er ist die rechte Platzierung der Erschöpfung zum Durchhalten, nicht ein Eingedenken der zerstörbaren Natur, sondern Ausdruck der Funktionalisierung naturhafter Momente, ihrer Beherrschung.

Überwiegen somit im Brutal die Momente der Anpassung an den Puls, so stellt in ihm vor allem eine von mit Maschinen beherrschte Natur als eine gefügige, wehrlose und tote sich dar. In der Symbolik des charakteristischen Klangs stehen dafür das in eine Maschine gespannte tote Stück Natur, wonach die Double Bass klingt, die unbeirrte Gleichförmigkeit der Blast Parts, in der die konkreten Tonläufe verschwinden und die anorganischen Gesangscharaktere ein.

Durch die Beibehaltung einer manuell zu bedienenden Instrumentierung wird offensichtlich, dass im Brutal eine durch die totale Beherrschung von Instrumenten ausgebübte Selbstbeherrschung des menschlichen Körpers sich darstellt.

Im Brutal verschafft aber eine Selbstbeherrschung, eine Funktionalisierung des menschlichen Körpers sich Ausdruck, die soweit fortgeschritten ist, dass bereits einige Momente, die ihr widersprechen, zu ihrem Schmiermittel geworden sind.

Was daran an gesellschaftlich Objektivem, die Komposition des Individuums betreffend, sich ausdrückt, ist dessen »organische Zusammensetzung«52; dass die körperlichen Regungen soweit vergegenständlicht sind – Resultat desjenigen Universalprozesses, der mit der »Verwandlung von Arbeitskraft in Ware einsetzt«53 -, dass noch die abweichenden situationsgerecht zum Einsatz gelangen; in welchem Maße die Eigenschaften des Subjekts bedienbar geworden sind, und eben nicht bloß die »spezialistischen Fähigkeiten, sondern […] die Momente des Naturhaften«54 selbst, die jenem Verwandlungsprozess der Arbeitskraft zu ihrer Verkäuflichkeit selbst »entsprangen und ihm nun verfallen.«55 Eine solche innere Komposition lässt auch als fragmentierte sich bezeichnen, deren Einzelteile nur dadurch noch verbunden sind, dass ihnen eingeschrieben ist, weiterzulaufen, vergleichbar der Reihung von Riffs.

Ist dieser gesellschaftliche Prozess aber einer, an den die Erhaltung des Lebens unterm Kapital verwiesen ist, so schlägt in der Darstellung des Brutal ebenso durch, dass zum Überleben unterm Kapital eine Angleichung an den Tod den Subjekten sardonisch abverlangt wird. Soviel Selbstzweck bleiben sie: hierfür sich zu entscheiden oder ganz zu verrecken. Wie die Riffs für den blinden Fortlauf, so gelten die Subjekte für die Verwertung des Werts als lebende Tote. Jene geben preis, was diese bedeuten: einen Scheiß, zu dem sie gerade ihrer Vielfältigkeit und Flexibilität, ihrer situationsgerechten Verhaltensweisen wegen werden. Überall ein-und auswechselbar sein, darin geht die Utopie von der Abschaffung des Todes unterm Kapital auf. Mit der Nichtigkeit des Individuums wird schließlich auch sein Schrecken domestiziert. »Sterben bestätigt nur noch die absolute Irrelevanz des natürlichen Lebewesens gegenüber dem gesellschaftlich Absoluten.«56

Solche leblose Subjektivität, vergegenständlicht in einem Song, ist Gegenstand des Genusses für das Brutal-Subjekt. Es genießt im Brutal die eigene Depravation als Erhöhung, seinen Spaß in der Form der Langeweile, die objektiv Anpassung an den abstrakten, leeren Zeitverlauf bedeutet. Aber der Genuss stellt – unbewusst – auch als unerträglich sich heraus.

Virtuose Untote

Was hier unter dem Begriff Subjektivität von Untoten gefasst wird, das wird in der Metal Rezeption, aber auch in der kulturwissenschaftlichen Beschäftigung, als Virtuosität57 bezeichnet. Er zielt ab auf die Beherrschung technischer Schwierigkeiten, nicht auf die Idee der Komposition. In ihm reflektiert sich die Regression von Musik auf Leistungssport, die im Metal mit der Pulsbetonung einher geht. Denn die Beherrschung technischer Schwierigkeiten bezieht sich auf das Funktionieren und die Ausdauer von Fingern, Füßen, Waden und Stimme. Dass sie punktgenau, maschinell, d.h. gefügig und wehrlos einsetzbar sind, dass das Brutal-Spiel als ›tight‹ sich erweist, verleiht ihm das Prädikat virtuos.

Brutaler Tod

Der maximale Grad der Virtuosität scheint jedoch unbewusst dem männlichen Brutal-Subjekt den Genuss ebenso zu versauen. Denn das Gelingen der Anpassung an die abstrakte Zeit, die die Virtuosität bezeichnet, scheitert an der Absicht, sich durch sie über Natur herrschaftlich zu erhöhen. Die vollendet virtuose Brutal-Subjektivität ist jedoch selbst Ausdruck gefügiger, wehrloser, toter Natur. Damit aber, das verraten die Texte und die Cover, identifizieren harte Männer im Brutal vornehmlich die Frau, über die sie vollends zu herrschen gieren. Denn selten anders als vergewaltigter, verstümmelter, gefolterter und massakrierter Haufen toter Natur ist sie auf Covern dargestellt. Dieses unbewusste Scheitern im Gelingen der (zeitlich begrenzten) Anpassung, die »Verweiblichung«, die mit dem Wahnprojekt von Männlichkeit, Schwäche vom männlichen Körper abzuwenden, sich einstellt, scheint mir einen Grund abzugeben für die misogyne Covergestaltung. Wird Mann im Brutal den Widerspruch von abstrakter und konkreter Zeit auf keiner seiner Ebenen den Widerspruch los, der stets auf das Scheitern der Abwehr von Schwäche verweist, so wird er auf die Frau als die Verkörperung des Widerspruchs schlechthin58 projiziert und in einem symbolischen Akt getötet, um ihn endlich loszuwerden. Weil in diesem symbolischen Akt aber meist zerstückelt wird, scheitert das Brutal-Subjekt daran, die Ähnlichkeit mit der Frau abzuwenden: als zerhackte ist sie das Symbol seiner eigenen Fragmentierung. In der Abwendung seiner Gleichheit mit der Frau macht er sie sich gleich. Wieder scheitert er an einem Widerspruch. Denn die Frau erscheint ihm nicht nur als Natur, sondern ebenso als entindividualisiertes, substanzloses Wesen, als Repräsentantin von Schönheit, die als solche für nichts sich anzustrengen braucht. Auch, dass ihr zufällt, wofür er sich abrackert, entfacht sich die Wut, die Brutal-Texte schreiben lässt. So dankt Blue Jensen von Guttural Secrete: »And last and certainly least, a big thank you to all the cunt rag, gold digging, stuck up fucking bitches around the world for being our main source of inspiration…«59 Der Widerspruch, an dem das Brutal-Subjekt stets scheitert, scheint vornehmlich der Ideologie von Männlichkeit selbst zu entspringen.

 

Glossar

Blast Beat
Zu einer Geschwindigkeit z.B. von 260 bpm in Achtelnoten spielt eine Hand im gleichförmigen Rhythmus auf der Snare Sechzehntelnoten oder eine andere unregelmäßige Vervielfachung der Pulsachtel (»N-tolen«: kein 2:1 Verhältnis), die andere meist den Puls auf einem Cymbal und die Füße an der Bass Drum die Dopplung der Snare (Zweiunddreißigstelnoten) oder – eher oft als selten – Sextolen: Auf vier Snareschläge kommen 6 Schläge an der Bass Drum. Hierbei klingt das Schlagzeug tatsächlich einer automatischen Feuerwaffe ähnlich.

bpm
Beats per minutes gibt die Grundgeschwindigkeit an, meist in Viertelnoten, die von den Einzelstimmen verdoppelt bzw. vervielfacht werden. In einer Grundgeschwindigkeit von 280bpm schaffen Brutal-Drummer um die 1000 Schläge an der Double Bass.

Double bass
Die große Trommel ist zweimal vorhanden bzw. sind zwei Fußpedale an einer Bass Drum gespannt. Es lassen damit sich mehrere Schläge spielen.

Double Bass Beat
Wie beim Blast Part, nur dass keine Sechzehntelnoten auf der Snare, sondern Viertelnoten oder unregelmäßig lange Noten gespielt werden. Solche Beats lassen die Double Bass gleichförmig durchlaufen.

Gutturaler Gesang
Oberbegriff sehr verzerrter (nicht elektronisch), sehr tiefer, meist nicht verständlicher Stimmtechniken im Extreme Metal. Sie werden alle in der Kehle gebildet und durch die Mundhöhle bzw. die Zunge verändert.

Heel-Toe-Technique
Mit beiden Füßen werden nacheinander jeweils mit der Hacke und dem Ballen ein Schlag über die Fußmaschine an die Bass Drum gegeben, insgesamt ca. 14-18 Schläge in der Sekunde.

Melodie
Reihe verschiedener Töne in der Zeit.

Melodik
Wird gemeinhin mit Melodie identifiziert, gibt aber eine Kategorie von Melodiebildung ab wie z.B. vokale Melodik.

Metrum
Betonung oder Betonungsmuster eines Rhythmus. Die Art der Betonung ist verschieden. Z.B. durch Abweichungen vom Rhythmus oder melodisch durch hohe, betonte Töne.

Mosh Part
Eine nicht abgedämpft, sondern mit offenem Anschlag gespielte, meist den Puls rhythmisch umspielende im Verhältnis zum vorhergehenden Part verlangsamte Abfolge von Powerchords.

N-Tolen
Noten, deren Dauer von den Standardnotenlängen abweichen. Solche Noten werden um die Länge der nächst kleineren Note verlängert.

Palm Mute Technik (abgedämpftes Gitarrenspiel)
Zum Abdämpfen wird der seitliche Handballen beim Spielen auf die Saiten gelegt. Somit wird der Nachhall von Tönen kassiert.

Part
Es gelten bestimmte Tonfolgen in einem Riff (Riff Part), ein einzelnes Riff und eine gewisse Reihung von Riffs als Part. Auch werden Riffs im Zusammenspiel mit den übrigen Ensemblestimmen als Part bezeichnet, z.B. referiert der Blast Part sowohl auf das Riff als auch auf das Drumming.

Powerchord
Terzloser Dreiklang, insofern ein tongeschlechtsneutraler Akkord.

Puls
Der Puls »liefert nur das abstrakte Raster für den rhythmischen Ablauf der Musik […] und ist deshalb nur in einem musikalischen Parameter veränderlich, dem Tempo. Der Puls muß in der Musik nicht ständig erklingen, sondern läuft meist als innerlich empfundene »Zeitachse« im Hintergrund mit.« Sein Rhythmus hat die gleiche Form wie der des Sekundenzeigers. Hempel, C.: Neue Allgemeine Musiklehre, Mainz 1997, S. 78f.

Pulsbetonung
Jeder Ton erfolgt auf dem Pulsschlag erfolgt. Dessen Notenwert beträgt im Brutal fast immer Achtel.

Riff
Eine rhythmisch gestaltete Reihe/Figur von Einzeltönen und/oder Powerchords an der Gitarre, die wiederholt wird.

Riffing
Gitarrenspiel, das aus Riffs besteht.

Slam Part
Eine meist noch langsamere aber abgedämpfte Variante des Mosh Parts.

Speed Piking Technik
Die Saiten werden im Auf-und Abschlag des Plektrums z.B. mit 16tel, 32tel Noten oder ungeraden Vervielfachungen des Pulses regelrecht befeuert, vergleichbar der Double Bass. Bei 16tel Noten erflogen Einzelanschläge verschiedener Töne, darüber hinaus meist Mehrfachanschläge eines Tones. Auf- und Abschlagwechsel ist hierbei nicht mehr identisch mit dem Tonwechsel.

Trigger Modul
Elektronik zur Abnahme und Veränderung des vom Schlägel erzeugten Audiosignals an der Double Bass.

 

ANMERKUNGEN

1 Im Text wie in der Szene weiterhin als Brutal zusammengefasst; Death Metal als Death.

2 Theodor W. Adorno: Einleitung in die Musiksoziologie. Zwölf theoretische Vorlesungen, Frankfurt a. M. 1975, S.63.

3 Siehe Glossar.

4 Mit diesem Begriff bezeichne ich sowohl Musiker als auch Fans, die im Brutal nicht oft sich in Persona unterscheiden. Brutal ist vor allem anderen Muckermucke.

5 Hierzu wird oft auch Grindcore gezählt. Streng genommen jedoch entstammt dieser der Punk- und Hardcore Szene. Der stets betonte, politisch linke Gestus bei Napalm Death z.B. verweist auf diese Traditionslinie.

6 Bei Cannibal Corpse ließe sich zum Beispiel der Umzug von New York nach Florida im vierten Album The Bleeding nachweisen.

7 Siehe Glossar.

8 In den folgenden Ausführungen wird der Bass keiner besonderen Betrachtung unterzogen, da das Bassriffing meist darin aufgeht, das Gitarrenriffing zu doppeln.

9 Siehe Glossar.

10 Im Heavy-Thrash und Death Metal finden sich immer mal wieder Frauen am Gesang und an Instrumenten wie bei Doro, Holy Moses und Arch Enemy. Im Brutal Death Metal gibt es keine Frau am Gesang.

11 Siehe Glossar.

12 Ebd.

13 Dazu später mehr.

14 Siehe Glossar.

15 Ebd.

16 Siehe Glossar.

17 Dietmar Elflein: Schwermetallanalysen. Die musikalische Sprache des Heavy Metal, Bielefeld 2012, S. 153.

18 Siehe Glossar.

19 Diese Angabe betrifft nicht nur das Schlagzeug. Die Gitarren zogen nach und füllten ihre Riffs mit enormen Mengen schnell gespielter Töne. Später ausführlicher.

20 Siehe Glossar.

21 Ebd.

22 Bei meinen Recherchen habe ich auch Drummer gefunden, die in der Lage sind, 255 Schläge in zehn Sekunden zu spielen.

23 Das vom Schlag in Schwingung gebrachte Becken wird mit den Fingern umgriffen.

24 Z.B. wird konkret nur noch jeder vierte abstrakte Pulsschlag derselben Grundgeschwindigkeit betont.

25 Siehe Glossar.

26 Hierbei wird das Gurgeln abwechselnd durch den Gaumen und die Zunge unterbrochen. Der Gaumen produziert meist ein »ka«, die Zunge im vorderen Mundbereich ein »ta«.

27 Im Übrigen: Das Trommeln des Helmspechts ist mit seinen 2


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