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Mai, 2019:
Ausgabe #10 ist erschienen


Das Wetter

 
Aufstand der Anständigen

»REBELL«, die Jugendorganisation der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD), vertreibt neue Aufkleber: Rote Faust schlägt Merkel und Westerwelle, daneben die Mao-Parole »Rebellion ist gerechtfertigt!«. In der rechten oberen Ecke findet man allerdings eine kleingedruckte Relativierung: Achtung! Dieser Aufkleber darf auf fremden Eigentum nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Eigentümers bzw. Nutzungsberechtigten angebracht werden (http://www.flickr.com/photos/22891428@N06/4477902659/in/set-72157622146906848/). HR

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Koalition für Arbeit

Die deutschen Gewerkschaften haben sich mal wieder selbst übertroffen beim Mitmachen für den Standort. Man rümpft in Frankreich schon länger die Nase über die Lohnzurückhaltung der deutschen Gewerkschaften und die dadurch entstandene Senkung der Lohnstückkosten in Deutschland, zumal sie den französischen Export empfindlich stören (FAZ, 16.3.10). Und die französische Finanzministerin Lagarde beschwert sich: Deutschland hat seine Lohnstückkosten und seine Arbeitskosten insgesamt seit gut zehn Jahren im Vergleich zu seinen Partnern gesenkt und sich dadurch auf den Exportmärkten Wettbewerbsvorteile verschafft (SZ, 15.3.10). In Frankreich sind sich die Regierung und die Gewerkschaften einig, dass die Regierung und die Gewerkschaften in Deutschland sich zu einig sind. HR

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Flieger, grüß mir die Sonne

Am liebsten gefällt sich die Linke, in der Rolle einer erlaubenden und verbietenden Instanz. Das Bremer Klimaplenum überlegt sich, in bester antiautoritärer Manier, wie oft man den Menschen das Reisen mit dem Flugzeug erlauben kann. Es gibt kein Recht auf Urlaubs-Konsum per Flugzeug (http://klimaplenum-bremen.blogspot.com/). Diese Rechtseinschränkung des Einzelnen ist natürlich nur zum Wohle aller! Wir plädieren für eine allgemeine Entschleunigung zur Steigerung der Lebensqualität. Wie dann diese Lebensqualität aussieht: radikale Einschränkung des Fliegens (vielleicht 10 statt 10 Millionen Flüge in Europoa [sic!] im Jahr). Denn: Das Recht auf Mobilität enthält keine Geschwindigkeitsangabe! Und wer Rechte vergibt und entzieht, der bestimmt auch, was man Leuten alles zumuten kann. Es ist allen Menschen zu zu muten [sic!], ihre FreundInnen, GenossInnen, Verwandten, GeschäftspartnerInnen und ihre Sehnsuchtsorte mit langsameren Verkehrsmitteln als dem Flugzeug auf zu suchen [sic!]. HR

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Unhaltbare Zustände

Dass die Machtwechsel in der Ukraine nach der Präsidentenwahl und dem Sieg des »blauen« Kandidaten über seine »orangenen« Widersacher für den Westen kein Grund zur Freude ist, das dürfte ja jeder Zeitungsleser und Nachrichtengucker hierzulande mitbekommen haben. Aber was genau ist so schlimm an der neuen Regierung? Führender Ukraine-Experte Prof. Dr. Gerhard Simon gibt Auskunft in den »Ukraine-Analysen« Nr. 71 vom 30.03.2010: In der Geschichtspolitik gibt es bereits deutliche Veränderungen: der Mythos des Großen Vaterländischen Krieges als sowjetischer Sieg über den Faschismus kehrt zurück, unter anderem mit Militärparaden am 9. Mai. Die internationalen Bemühungen um die Anerkennung des Holodomor, der großen Hungersnot 1932–33, als Genozid am ukrainischen Volk dürften gestoppt werden. HR

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Glaubensbekenntnis

In der Grundlagenbroschüre »Theoretisch links«, herausgegeben von der »Rosa-Luxemburg-Initiative«, ist auch ein älterer Text des »Antifaschistischen Frauenblocks Leipzig« [AFBL], woraus die Zeilen stammen: Da wir das Definitionsrecht der Frau anerkennen, halten wir es für völlig überflüssig, über einen sogenannten »Missbrauch« des Definitionsrechts zu diskutieren. Weil wir ja dafür sind, halten wir es für überflüssig Einwände dagegen zu diskutieren. HR

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Schwarz auf weiß
Unter den (unfreiwillig selbstentlarvenden) Pseudonymen »Bouvard und Pécuchet« melden sich in der Ausgabe 552 der Zeitung »analyse & kritik« Mitglieder der »Interventionistischen Linken« zur Debatte um die Gaza-Flotte: Das schwarze Unterdrückt- und Ausgebeutetsein im Gaza-Bantustan weiß jetzt, dass es sich gar nicht mehr an Weiße adressieren muss, nicht mehr um weiße Solidarisierung bitten muss, weil ihm Ankara jetzt erheblich wichtiger sein wird als Washington oder Brüssel. […] Angesichts der Parteinahmen allein der weißen Linken kein völlig unverständlicher Entschluss, auch dann, wenn die Unmittelbarkeit der israelischen Gewalt gar nicht in Rechnung gestellt wird. Mehr noch: Wer will dem schwarzen Unterdrückt- und Ausgebeutetsein diese Adresse mit welchem Recht untersagen? Sich strategisch-taktisch einem Herrschaftssegment zu verbinden, ist angesichts der Lebensbedingungen in Gaza wahrlich kein zwingendes Gegenargument - wer das bestreiten will, sollte sich mal in den dort gelebten Alltag imaginieren. Vor lauter rhetorischer Einfühlung kommt die Frage, warum die Gewalt der Hamas gegen die eigene und die israelische Bevölkerung ›mittelbarer‹ sein sollte als die des israelischen Staates, gar nicht auf. Mit keinem Wort wird die Entscheidung der Hamas erwähnt, lieber auf die Hilfsgüter für Gaza zu verzichten, als Israel die verladen und kontrollieren zu lassen. Da es den Autoren aber erklärtermaßen um die Parteinahme für die Unterdrückten als eine Sache der spontanen Emphase geht, verbietet sich die konsequente Kritik an Hamas von selbst: Auch wenn die Hamas wirklich Agentur einer ganz eigenen Unterdrückung und Ausbeutung ist, ist es blanker Hohn auf die real existierende israelisch-palästinensische Erfahrung, das mühselig dann doch anerkannte »Leid« der Leute in Gaza in erster Linie als eines der »Einkesselung zwischen Israel und Hamas« aufzufassen: wie weiß, wie - um es zeitgemäß auszudrücken - »multitudenaristokratisch« oder auch, ganz schlicht, wie blind. Daher fällt denen unter »Was tun?« selbstverständlich die Unterstützung der GenossInnen, die bedrohte Fischer und Farmer im Gaza durch ihre Präsenz vor alltäglichem Beschuss schützen, ein, während sie sich für den Schutz vor Gewalt der Hamas nicht zuständig fühlen. HR

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Gießkannen des Vergessens: antifaschistische Gartenarbeit

Den Faschismus mit seinen Wurzeln zu vernichten, darin dünken sich auch die Genossen_Innen des VVN-Konstanz. Ihre Kampfmittel sind Mahnwachen und internationale Solidarität, ihr Prinzip die Vergangenheit vor Ort dem Vergessen entreißen. So organisieren die Genossen_Innen alljährlich zum 1. September Veranstaltungen zur Erinnerung daran, dass Nazi-Deutschland an diesem Tag im Jahre 1939 den 2. Weltkrieg entfachte. So solle der Antikriegstag entsprechend »gewürdigt« und dem Vergessen entgegengetreten werden. Und so trat man vermittels internationaler Solidaritätsbefindlichkeit und Völkerkampffetisch ordentlich zu: Dem Konstanzer Bündnis (Friedensinitiative, VVN-BdA, die Gewerkschaft ver.di, die Partei Die Linke) lag nichts näher als gerade an diesem Tag an die Kämpfe um die Palästinenser im Gaza-Streifen zu erinnern, an das »Blutbad« auf der Mavi Marmara. Dabei stand dann letztlich »Free Gaza« als Forderung, Annette Groth, die »Augenzeugin vom Frauendeck«, auf dem Podium und die VVN an der Seite der Hamas, um gemeinsam den Auftakt zur Deportierung und Vernichtung der Juden und Jüdinnen mit Vergessen zu begießen.
(http://www.friedenskooperative.de/akt10ter.htm) MH

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Für eine Handvoll Jaffa-Orangen
Haben sich die Friedensfreunde um den Galeristen Cornelius Hertz vom Mossad kaufen lassen? Am 3. März fiel laut Augenzeugenberichten eine angekündigte Aktion für den Boykott Israelischer Waren vor dem REWE-Markt in der Wachmannstraße aus. Es wird ein Zusammenhang zu einer am selben Tag an dem Zaun der Galerie Hertz angebrachten Israelfahne, einem Körbchen mit mutmaßlich Israelischen Jaffa-Orangen und einem Zettel mit der Aufschrift »Für Conni mit lieben Grüßen vom Mossad« vermutet. EB

Cornelius Hertz

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Autonome Sorgen
Autonome machen sich Sorgen um die Proteste gegen die Einheitsfeier am 3. Oktober: Wir su­chen nicht den Dia­log mit Deutsch­land und sei­nen Freun­d_in­nen und soll­ten uns auch nicht der Il­lu­si­on hin­ge­ben, die Fest­be­su­cher_in­nen wären wild dar­auf, sich dar­über in­for­mie­ren zu las­sen, was an ihrem Abend­pro­gramm nicht ganz po­li­tisch kor­rekt ist. […] Unter dem Motto: »kein Tag für die Na­ti­on – kein Tag für Deutsch­land« or­ga­ni­siert ein Bünd­nis aus an­ti-​ deut­schen und links­ra­di­ka­len Grup­pen für den 2. Ok­to­ber eine Bun­des­wei­te De­mons­tra­ti­on und ruft zu Ak­ti­ons­ta­gen vom 1. bis zum 3.​10. auf. Wir be­grü­ßen die­sen Auf­ruf aus­drück­lich, sehen je­doch in der po­li­ti­schen Zu­sam­men­set­zung des Bünd­nis­ses die Ge­fahr, die Mo­bi­li­sie­rung zu einer Na­bel­schau un­ver­ständ­li­cher in­ter­ner De­bat­ten wer­den zu las­sen (http://linksunten.indymedia.org/de/node/24459). Also einerseits ist es eine Illusion die Nationalisten durch Information und Argumente von irgendwas zu überzeugen, andererseits macht man sich Sorgen darüber, dass die »internen« Debatten (welche externen Debatten kann es überhaupt mit Leuten geben, die man gar nicht überzeugen kann?) unverständlich sind. Für wen eigentlich? Die »Normalbevölkerung« kann wohl kaum gemeint sein, denn der Text der autonomen Kritiker_innen dreht sich über weite Strecken um das eigene Szenefeeling: Was je­doch ver­lo­ren ging, war ein Le­bens­ge­fühl, das bis­her un­trenn­bar mit dem Be­griff der Au­to­no­men ver­bun­den war. […] Wenn eine (militante) Aktion nicht mehr Ausdruck der Selbstbestimmtheit ihrer Akteur_innen ist, ist auch der schönste Krawall nichts wert! So wendet sich die Mobilisierung, jenseits jeglicher »Nabelschau von Debatten«, verständlicherweise nur an die eigene Szene: Unser In­ter­es­se an die­sem Tag ist ein an­de­res: 3. Ok­to­ber 2010: Haupt­sa­che es knallt! HR

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Und weil es so schön war, nochmal

Stefan Bornost, der Redakteur der trotzkistischen Zeitschrift »Marx21« schreibt in Nummer 17 seiner Postille: Es ist eine historische Tragödie, dass der Zionismus, geboren aus der Erfahrung antisemitischer Unterdrückung, sein eigenes politisches Ziel, die Schaffung eines jüdischen Nationalstaats, mit den Mitteln von Terror und Vertreibung durchgesetzt hat. Diese Feststellung ist für Bornost leider kein Anlass, es mit der Unterstützung der palästinensischen Bewegung, die die Schaffung eines palästinensischen Nationalstaats mit den Mitteln von Terror und Vertreibung (der Juden ins Meer) erst durchsetzen will, einfach mal sein zu lassen. HR

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Die größten Kritiker der Molche …

… waren früher ebensolche. Im RTL-Magazin »Exclusiv« vom 29.08.2010 beschwerte sich die Schauspielerin Anne-Sophie Briest (bekannt aus Sat1-Produktionen »Natalie – Endstation Babystrich«, »Natalie – Die Hölle nach dem Babystrich«, »Natalie - Babystrich online«, »Natalie - Das Leben nach dem Babystrich«) über den schädlichen Einfluss der »versexten« Videos von Lady Gaga und Christina Aguilera auf Kinder, die diese ungeschützt zu jeder Tageszeit auf den Musikkanälen sehen können. Wer hier unfreiwillige Komik entdeckt, sollte erst ein Blick in den ein Tag später erschienen Bonner »General-Anzeiger« werfen. Dort spricht ehemaliger Möllemann-Kampfgefährte, und Kämpfer gegen dekadente Arbeitslose, Guido Westerwelle über Thilo Sarrazin: Herr Sarrazin leitet Wasser auf die Mühlen des Rassismus und des Antisemitismus. Das ist vollständig inakzeptabel. HR

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Problem erkannt

Um die richtige Antwort zu erhalten, muss man die richtige Frage stellen. Bundesbankvorstand Sarrazin gerät wegen der jüngsten Äußerungen über Juden unter Druck. In der »Welt am Sonntag« sagte der Berliner Ex-Senator: Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen, Basken haben bestimmte Gene, die sie von anderen unterscheiden, berichtet MSN.DE und stellt die Fragen zur Abstimmung: Was sagen Sie, sollte der umstrittene Bundesbanker Sarrazin nun endgültig aus dem Vorstand der Bundesbank und der SPD, deren Mitglied er ist, geworfen werden? Ja! Für solche Aussagen kann es keine Toleranz geben / Nein! Sarrazin hat recht, wenn er auf die Probleme im Land hinweist (http://quiz.msn.de/quiz/323-sarrazins-ausfaelle/1). Immerhin haben die 82 %, die für »Nein« gestimmt haben, freimutig zugegeben, dass sie das Teilen eines bestimmten Gens durch Juden für ein Problem im Land halten. HR

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Deutschland einig Vaterland

Bis 1989 kämpften Menschen 3 Jahrzehnte lang gegen eine Mauer und deren Folgen an der innerdeutschen Grenze
, schreiben in ihrem Flugblatt zur Einheitsfeier die Gruppen Feliz, AK Militarismus, »noch eine autonome Gruppe« und Karawane für die Rechte der Flüchtlinge & MigrantInnen. Auch die Linken sind inzwischen zu dem Urteil gekommen, dass die Grenze zwischen BRD und DDR, also zwei souveräne Staaten, in Wirklichkeit nur ein Volksganzes trennte. Na hoffentlich ist die Grenze zu Österreich für die nicht auch innerdeutsch. HR

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Sünde des Fleisches

Hamburger Autonomen-Blatt »Zeck« Nr. 158 gibt Tipps, was die »Bambule Fans« während des »Schanzenfestes« so alles angreifen könnten und sollten. Auf die Kategorien Banken – Supermärkte - Teurere Läden folgt die Rubrik Sonstiges, wo gleich als Nummer 1 Sexversand, Bernstorfstr. verzeichnet ist, dicht gefolgt von Nummer 3 Mac Donalds, Schanzenstr.. Selbstbestimmtes Leben in Freiräumen ohne Kredit, Sexspielzeug und Fleisch gehört selbstverständlich mit allen Mitteln, auf allen Ebenen gegen Gentrification und Neoliberalismus verteidigt. HR

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Epistolae obscurorum virorum

Sven Schäfer, ein grottiger George-Nachahmer (heilig strahlt das Septemberlicht / noch auf des Weines entlegene Pfade / sieh‹ wie golden es bricht / an der Mosel Ufer an der Schwäne Parade) schreibt für das neurechte Chemnitzer Jugendmagazin »Blaue Narzisse« einen offenen Brief an Linke-Politikerin Katja Kipping: Hast ein Reh du lieb vor andern / Lass es nicht alleine grasen«. Nun, diese Verse kamen mir vor Jahren doch tatsächlich in den Sinn, als ich Sie zum ersten Mal im Fernsehen in einer Talkshow sitzen sah und schwätzen hörte. Verse, die ich eigentlich nur für meine Frau reserviert hatte. Jedenfalls dachte ich für einen kurzen Augenblick an diese Worte, als ich Ihre Rehaugen sah (www.blauenarzisse.de/v3/index.php/anstoss/1825-kein-blauer-brief-an-katja-kipping). Wer über »der Schwäne Parade« dichtet, der hat auch den Einfallsreichtum und die Stilsicherheit mit seiner Adressatin gleich eine persönliche Ebene zu finden. Aber es wäre zu schön, wenn das Schreiben mit dieser Reduzierung der politischen Kontrahentin auf ihren Körper schlicht enden würde. Als ob der gewährte lyrische Einblick in das eigene Beziehungsleben nicht schon zu viel des Guten wäre, offenbart der Poet weiter: Da ich vollkommen aufrichtig sein möchte, muss ich zugeben, dass ich den einleitenden Absatz nur geschrieben habe, um Ihre Aufmerksamkeit zu binden und falls Sie den Brief schon bis hierhin gelesen haben, sollten Sie den kleinen Rest auch nicht verpassen. Es kommt auch nicht mehr viel! Glatt gelogen – es kommen noch sechs Absätze voller Mischung aus schleimig-zottigen Annäherungen und origineller Feindbildpflege. Allein die Feststellung linksgrünalternativer Menschen/Lehrer, dass Verbrecher zwar nicht böse sind, aber doch böse Dinge tun, ist das Zugeständnis der Linken an die Natur des Menschen. Heute denke ich mir, wenn die Linke auch sonst nicht viel vom Menschen an und für sich verstanden hat, ist wenigstens diese gewonnene Einsicht doch besser als Fritten aus der Mülltonne. Der konservative Mensch/Schüler, der den ›Menschen an und für sich‹ persönlich kennt und Fritten zum Maßstab hat, weiß von der Existenz des Bösen in der Welt. Die Faszination für dieses Phänomen vermag er nicht zu verstecken: Gott sei Dank gibt es für Euch Linke aber die Ersatzbösen und ich meine nicht den politischen Feind der Linken wie etwa die SPD. Nein, ich denke da vielmehr an die Rechten, den Erzfeind, das Erzböse, das Böse schlechthin und überhaupt. Eigentlich also alle Menschen, die sich als Menschen nicht neu erfinden lassen wollen, die Menschheitsentwürfen am Reißbrett gründlich und von vornherein misstrauen. Oder einfach nur Menschen, die es hundserbärmlich finden, wenn ein Berliner Bürgermeister eine SM-Veranstaltung feierlich eröffnet. Der Poet triumphiert: auch die Linken müssen die Existenz vom Bösen anerkennen. Die Rolle des Erzbösen im Weltbild der Linken behagt ihm so sehr, dass er dafür die Peinlichkeit, sich als einer derjenigen zu outen, die keine anderen Sorgen haben als das Intimleben anderer Menschen, locker in Kauf nimmt. Doch das Schlüpfen in die Rolle des Buhmanns ist nur Vorbereitung auf den großen Ansturm: Seien Sie doch mal »autonom« und schreiben Sie zurück, bevor Sie das alles mit Ihren Genossen besprochen haben, das Für und Wider und überhaupt diese Widerlichkeit der rechten Blutsauger und Frechdachse. Linke sind doch schon immer davon fasziniert gewesen, die dunkle Natur des Menschen durch Resozialisierung zu heilen. Bitte beantworten Sie uns doch die Frage, warum Sie alles Konservative so beharrlich hassen und verdammen. Und warum Sie allen Menschen, die an Gott und Nation glauben für gefährliche Individuen halten, die gleich andere Völker bedrohen und ausrauben wollen. Ja, sind an der Mosel die Schwäne ausgegangen, dass dieser stolze Vertreter der konservativen Elite sich ganz der Belästigung seiner politischen Gegner mit der Frage, warum die ihn und seine Politik nicht mögen, widmen kann? Das Erzböse, das dermaßen um Beachtung bettelt, kann gar nicht so bedrohlich sein. HR

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Für sich Stehendes: männliche Führungspotenz

Das Sprichwort, das behauptet, es gäbe keine doofen Fragen, hat seinen gesellschaftlichen Nutzen nicht darin, dass man Kindern mit offenem Herzen begegnet und sie durch Ermutigung zum Hinterfragen zur Mündigkeit anleitet, sondern ganz im Gegenteil: Um die systembedingt erzeugte wie idiotisierte Reservearmee von TalkshowmasterInnen auch entsprechend vermitteln zu können. Denn ohne vollkommen entblödete Fragen und ein entsprechendes Interesse an deren weiter entblödenden Beantwortung gäbe es keine ökonomische Möglichkeit für Politsendungen. So lässt man Anne Will in ihrem Studio fragen, ob Politiker mehr Standhaftigkeit beweisen müssen, damit ihnen wieder mehr Respekt entgegengebracht wird. Und die Zeit-Journalistin Elisabeth Niejahr antwortet ganz nonchalant: Ich glaube, dass das … richtig ist, also dass z.B. die Bewunderung und Verehrung, die Helmut Schmidt so entgegenschlägt, ganz viel mit seinen Steherqualitäten zu tun hat. MH

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Semi-semitisch

Willi Winkler rezensiert in der »Süddeutschen Zeitung« vom 29.04.2010 Jeffrey Herfs Studie über den Mufti von Jerusalem und Nazi-Kollaborateur Mohammed Said Al-Husseini: Der »Aufsatztitel »Hitlers Dschihad« wird allerdings an keiner Stelle eingelöst, er ist weniger wissenschaftlich als propagandistisch. Hitler hatte die Vernichtung der Juden zu einer deutschen Herzensangelegenheit gemacht, da konnte ihn ein Angehöriger jener Semiten, die er so glühend hasste und zu vernichten hoffte, nur stören«. Dass Antisemitismus eben Judenfeindschaft bedeutet und sich nicht auf alle »Semiten« (native speakers von zahlreichen semitischen Sprachen) bezieht, ließe sich zwar schon in Meyers Lexikon von 1881 nachlesen, aber dann ließe man sich so eine wunderschöne Gelegenheit entgehen, auch diesen Hitler-Verehrer zum Hitler-Störer zu erklären. HR

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Leere Dancefloors und kein Ende. Wenn die Dekadenz den Bach runter geht

Auf einem Flyer zur Auftaktveranstaltung »Definitiv geiler als Du« der Partyreihe »Zuckerkrank« vom 05.02.2011 legt das neue Zuckerkollektiv seinem Publikum endlich einmal offen, welche Pläne zur Umgestaltung der Bremer Technoszene es backstage wirklich schmiedet. In obskuren Neologismen wird angedeutet, wie das »Innere« der Clubbesucher von schädlichen Moden gereinigt werden soll. Eine echte Herausforderung, da doch das »Hirn« der Technofreunde, die »eigendlich [sic!]« nicht sind, voll von »Profilneurosen« ist. Die Experimentatoren vom »Labor des guten Lebens« aus der Neuland-Klinik stellen deshalb auch biowissenschaftliche Untersuchungen an. Sie notieren: die Vermischung unterschiedlicher Menschen stockt, das biologische Geschlechterverhältnis am Dj-Pult ist im Ungleichgewicht. Das neue Forschungsvorhaben bewertet nun den Bildungsstand der Besucher*innen: man wolle ›negative Strukturen der Szene in Partykonzepte umsetzen‹ und testen, wer/welche lesen kann und lieber zu Hause bleibt. Um einer breiteren Gruppe, die Teilnahme zu ermöglichen, ist der Text, der von zwei Versen eingerahmt ist, hier abgedruckt:

agt dann einer / eine / wie schön ein dj / bin ich / doch an und für sich / was ist‹s? / ein dj. / nur das. / das reicht / denkt es sich / und dann / dann / wird es zwanzig. // eine Disko / wie schön / er denkt sich / wie schön / eine Disko. / was schöneres / schöneres gibt es nicht. / ich bin ich / schreit ein jede*r / und ich? / eigendlich / nicht.

ZUCKERKRANK

nach dem zirkus und dem zpielplatz hat sich wieder ein konglomerat aus d.i.y.-party-kollektiven zusammen-gefunden.

zuckerkrank heißt das neue kind. im vierten jahr des zuckers scheint es uns jetzt nicht auszureichen, alles bunt und hip zu gestalten. bremens alternative technoszene floriert. im hintergrund gibt es viele gute ansprüche. selten werden diese aber richtung publikum kommuniziert.

antisexismus, antifaschismus, antirassismus, etc. gelten oft als konsens. der alltag aber ist voll von profilneurosen und dem verlangen nach der angesagteste party. allein das geschlechterverhältnis an den turntables in bremen spricht bände.

insgeheim erträumt ich die szene als underground. nicht mainstream soll es sein. musikalische oder stilistische wagnisse werden aber kaum realisiert. doch auch ein leerer dancefloor, kann eine gute party sein.

die idee einer bunten vermischung unterschiedlicher menschen stockt beim nachspielen immer gleicher rollenbilder, welche im großen rahmen auch, aber nicht nur, an geschlechterrollen sichtbar werden.

der standart, die uniformierung schreitet voran. die mode übernimmt das spiel, nicht die kleidung. im inneren an und für sich. anpassung an die von der szene geforderten verhaltensweisen übernimmt das ruder.

wenn selbst spinner*innen, also das unrational Andere, als unökonomische*r teilnehmer*in der gesellschaft, schon aufgekauft und vermarktet sind, wie soll das irrationale verhalten, die freiheit an und für sich noch erlebbar sein?

diese partyreihe tritt jetzt an, um sich mit negativen strukturen der szene auseinander zu etzen. uns ist klar, dass wir nicht die welt aus ihren angeln heben werden. aber wir wollen wenigstens über ebendiese strukturen und mechanismen sprechen und sie in partykonzepte umsetzen.

keine angst – wer/welche kein bock hat das hirn einzuschalten kann ganz einfach auf eine bunte, tanzbare, liebevoll gestaltete party im zucker gehen

[sämtliche Rechtschreibfehler: sic!]. EB

 


HR: Hyman Roth

MH: Max Hoff

EB: Redaktion Extrablatt


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