Das Problem hinter dem Problem
Ein Diskussionsbeitrag über Möglichkeiten und Grenzen antifaschistischer Politik
Totgesagte leben länger - Getreu dieser Devise und entgegen einer gängigen Analyse der Jahre 2000ff.1, dass Antifa Ausschlafen bedeute, feiert die Antifa Mobilisierungserfolge, wie zuletzt in Dresden, als mehrere tausend Menschen an der Demonstration von No Pasaran teilnahmen. Und auch in Bremen gehen über tausend Leute gegen das einschlägige Geschäft Sportsfreund auf die Straße. Unbeschadet hiervon existieren sowohl der Laden im Besonderen als auch die Nazibewegungen im Allgemeinen weiter. Anstatt einer Verbesserung dieser Situation lässt sich eine Festigung, bzw. teilweise sogar Stärkung der Nazis konstatieren. In Leipzig organisieren Nazis unter Beifall und Teilnahme der Bevölkerung Demonstrationen und Mahnwachen gegen so genannte »Kinderschänder«, gleichzeitig darf man bezweifeln, dass die 6000, die in Dresden an den zivilgesellschaftlichen Protesten gegen den Naziaufmarsch teilnahmen, in irgendeiner Weise repräsentativ für die dortige Bevölkerung waren. Zwar können Nazis weder in der Bremer Innenstadt noch beim Fußball auch nur einen Blumentopf gewinnen, im Umland, in Bremen Nord und Bremerhaven stellt sich die Lage allerdings schon anders dar. An dieser Stelle soll nun keine Aufzählung von Naziübergriffen, -strukturen oder Ähnlichem stattfinden. Dass Nazis Namen haben und auch gerne mal ein Bier trinken gehen, hilft in diesem Zusammenhang nicht weiter. Vielmehr gilt es gesellschaftliche Ursachen für die lokale Stärke (oder Schwäche) der Nazis zu erfassen und zu den antifaschistischen Gegenkonzepten in Beziehung zu setzen.
Wie die Fische im Wasser
Die Intention dieses Beitrags ist nun keineswegs gegen Nazis gerichtete Aktivitäten zu diskreditieren oder in Frage zu stellen, auch wenn der - neben den grundlegenden inhaltlichen Differenzen - Dissens zum Umgang des Dresdner No Pasaran-Bündnisses mit dem 14. 2. 2009 nicht verschwiegen werden sollte.2 Grundsätzlich ist es immer richtig nationalsozialistischen Bestrebungen entschlossen entgegen zu treten. Für eine längerfristige Perspektive ist es jedoch unerlässlich, die Hintergründe nationalsozialistischen Denkens und dessen gesellschaftlicher Verankerung zu ergründen. Erst die Analyse der konkreten Verhältnisse, aus denen sich eine Nazihegemonie entwickelt, ermöglicht es, antifaschistische Konzepte auf ihre Tauglichkeit für die politische Praxis hin zu diskutieren. Es sind spezifische gesellschaftliche Zustände, die dafür verantwortlich sind, dass sich Nazis an bestimmten Orten und in bestimmten Regionen wie Maos Fische im Wasser bewegen können. Zwar soll hier nicht grundsätzlich abgestritten werden, dass auch Nazis nicht als Nazis zur Welt kommen, es sich dabei insofern um einen Charaktertyp handelt, der irgendwie sozialpsychologisch erklärt werden muss, wie es u.a. das Konzept des »autoritären Charakters« nahe legt. Die durch diesen Ansatz implizierten Konsequenzen liegen jedoch außerhalb des Handlungsspielraums der antifaschistischen Bewegung: Zum einen, weil gegen eine autoritäre Persönlichkeitsentwicklung präventiv nur pädagogische Konzepte greifen, deren Umsetzung in Schule, Jugendarbeit und Familien jedoch eine erheblich stärkere gesellschaftliche Verankerung bedürfte, als sie die Antifa vorweisen kann. Zum anderen, weil die Betrachtung von Nazis als Phänomen mit primär (sozial-)psychologischen Ursachen die Nazis pathologisiert und damit entpolitisiert. Auch Nazis bewegen sich nicht in einem luftleeren Raum, sondern in einem gesellschaftlichen Umfeld, das maßgeblich dafür verantwortlich ist wie sie sich organisieren und welche Stärke sie entfalten können. Letztlich liegt es an der regionalen Verbreitung bestimmter Denkmuster, die es verhindern, dass Nazi-Positionen inhaltlich widersprochen werden kann und die dadurch Toleranz und Unterstützung für Nazis erst ermöglichen. Einen derartigen Zustand haben wir versucht mit dem Begriff des »rechten Konsens« analytisch zu erfassen3. Darunter fallen Elemente der nationalsozialistischen Ideologie, insofern sie auch außerhalb der Nazi-Bewegung verbreitet sind. Selbst wenn Nazis und der Nationalsozialismus abgelehnt werden, spricht dies nicht gegen die Existenz eines derartigen Konsenses. Es ist dann jedoch nicht die Weltanschauung des NS, an denen sich der Widerspruch zu den Nazis entzündet, sondern deren Radikalität und militanter Ausdruck. Entsprechende Beispiele finden sich u.a. in allen Formen akzeptierender Sozialarbeit, wo Verständnis die politische Auseinandersetzung ersetzt. Dieser Konsens existiert nun keineswegs überall, aber dort, wo er existiert, ermöglich er die Entstehung einer dominanten Nazibewegung; dort wo er nicht existiert, können Nazis nicht hegemonial und zum konsequentesten Teil der gesellschaftlichen Mehrheitsmeinung werden.
Rechter Konsens reloaded
Die zentralen Elemente des rechten Konsens lassen sich in drei Gruppen einteilen: ein autoritäres Staatsverständnis, die völkische Selbstwahrnehmung sowie die Konstruktion von Volksfremden.
Das autoritäre Staatsverständnis umfasst jenes ideologische Element, das den Staat als zentrale Instanz zur Lösung gesellschaftlicher Konflikte ansieht. Wenn es zu Konflikten zwischen dem rechten Konsens und der Staatsmacht kommt, dann niemals, weil der Staat selbst abgelehnt wird, sondern weil man die politische Klasse als unfähig oder nicht willens zur Lösung der gesellschaftlichen Probleme ansieht, die für den rechten Konsens wichtig sind. Hieraus speisen sich sowohl die Forderungen nach einem »starken Führer« als auch nach einer Regierung, die »durchregieren« kann. Dies verlangt nach einer vollständigen Identifikation mit dem Staat, die weit über die Anerkennung seiner Legitimität, wie sie den kapitalistischen Normalbetrieb auszeichnet, hinausgeht. Entsprechende Forderungen fanden sich zuhauf bei den Protesten gegen die Hartz IV-Gesetze, etwa wenn der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder als »Verräter« bezeichnet wurde. Dass momentan auch der rechte Konsens nicht vollständig im Staat aufgeht bzw. sich mit staatlichen Zielvorgaben identifiziert, liegt daran, dass der Staat momentan nicht so auftritt, wie er in den Vorstellungen des rechten Konsens gemäß auszusehen hätte.
Diesem Verständnis folgend wird der Staat als organischer Ausdruck des Volkes begriffen. Hier kommt die völkische Selbstwahrnehmung zum Tragen: Das Kollektiv wird nicht etwa politisch, durch die Institution der Staatsbürgerschaft, definiert, sondern als qua Natur bestehende Abstammungsgemeinschaft, die als irgendwie »wirklicher« als Staatsbürgerschaft begriffen wird. Diese Vorstellung vom Volk als qua Natur existierend kann auf eine lange Tradition zurückblicken: Bereits Heinrich von Treitschke unterschied in seinem antisemitischen Traktat Unsere Aussichten zwischen Deutschen und deutschen Staatsbürgern; und auch das gegenwärtige Volksempfinden kennt den Unterschied zwischen den Nachfahren türkischer GastarbeiterInnen mit deutschem Pass und »echten Deutschen« sehr gut.
Stabilisiert wird dieses Selbstbild jedoch erst durch die Konstruktion der »Fremden«, Nicht-dazugehörigen. Hier sind vor allem die konjunkturabhängig aktualisierten Feindbilder Antisemitismus, Antiamerikanismus und Rassismus zu erwähnen. Bis vor kurzem war hier der Antiamerikanismus das wichtigste Element, war er doch geeignet, eine ideologische Verbindung zu den Teilen der Zivilgesellschaft herzustellen, die die geopolitische Zukunft Deutschlands in einer europäischen Perspektive und in Abgrenzung zu den USA sehen. Ob der US-amerikanische Regierungswechsel an der politischen Wirkungsmächtigkeit dieses Feindbildes etwas ändert, bleibt abzuwarten. Inhaltlich betrachtet handelt es sich beim Antiamerikanismus, wie auch beim Antisemitismus, um ein Welterklärungsmodell, das eine Gemeinschaft über die Konstruktion von Feinden stiftet, denen sämtliche gesellschaftliche Widersprüche zugeschrieben werden, die die Existenz einer harmonischen mit sich identischen Gemeinschaft dementieren. Alles, was an der deutschen Gesellschaft als störend und den eigenen Wunschvorstellungen entgegengesetzt betrachtet wird, wird einer außen stehenden, nicht-dazugehörigen Kraft zugeschrieben. In dieser Hinsicht haben beide Elemente auch den Rassismus abgelöst. Dieser ist zwar nach wie vor existent, verglichen mit den 1990er Jahren tritt er jedoch in seiner Funktion, Konsens über die Grenzen der Nazibewegung hinaus zu stiften, hinter Antiamerikanismus und Antisemitismus zurück.
Diese Aufzählung hat freilich nur analytischen Charakter. Empirisch betrachtet treten diese Elemente konjunkturabhängig auf. Ihre Wirkungsmächtigkeit und Ausschlachtbarkeit durch die Nazis wird maßgeblich durch politische Kampagnen der Zivilgesellschaft determiniert. Sowohl im Antiamerikanismus der Friedensbewegung, im anlässlich des Dresdner Gedenkens vermittelten Geschichtsbilds als auch in Sozialprotesten finden sich diese Elemente, dennoch führten nur die Sozialproteste gegen Hartz IV zu einer spürbaren Konjunktur für die Nazis. In den anderen Kontexten waren Nazi-Positionen weitgehend im gesellschaftlichen Konsens verankert, resultierten aber nicht in einer Profilierung als politische Kraft. Die Ursachen sind kurz benannt: Auf dem Terrain des Antiamerikanismus waren die Nazis der Zivilgesellschaft sowohl hinsichtlich Problembeschreibung als auch Lösungsansätzen unterlegen. Das Projekt einer Gegenmacht Europa war der isolationistischen Konzeption der Nazis insofern überlegen, als ersteres kompatibel mit den deutschen Weltmachtsansprüchen ist und erheblich weltoffener und moderner auftritt.
Analoges gilt für das erinnerungspolitische Feld: Zwar sind Betonung deutscher Opfer und Beschwörung »alliierter Kriegsverbrechen« weit verbreitet, doch sind die Nazis durch ihre Unfähigkeit, die deutsche Schuld anzuerkennen, isoliert. Gleichzeitig ist die zivilgesellschaftliche, neu-deutsche Variante des Gedenkens mit ihrer Pluralisierung der Opferperspektive eher geeignet, die aus dem NS folgenden politischen Beschränkungen ad acta zu legen. Die Darstellung von Schuld und Leid als allgemein menschlichen Wesenszügen lässt sich viel produktiver als Mittel der Politik handhaben. Hier gehen die Nazis wieder an den Problemdefinitionen der Gegenwart vorbei. Anders bei den Sozialprotesten gegen die Hartz IV-Gesetze. Die Gesellschaftsvorstellungen der Nazis erschienen hier als glaubwürdige und echte Alternative zu den Konzepten von Regierung und Zivilgesellschaft. Die nationalsozialistische Kombination aus völkischem Arbeitsethos und autoritärer, staatlicher Fürsorge konnte als Erfolg versprechendes Konzept sozialer Sicherheit auftreten.
Berlin ist nicht Weimar
Nun ist der rechte Konsens nicht gleichbedeutend mit nationalsozialistischen Positionen oder gar einer etablierten Volksgemeinschaft. Die Elemente des rechten Konsenses können von unterschiedlichen politischen Positionen, seien es die etablierten Parteien oder neuere Parteien populistischer Provenienz, bedient werden. Zur Herstellung einer Volksgemeinschaft bedarf es indes mehr, als nur diese Elemente zu bedienen, vielmehr müssen sie zu einem kohärenten politischen Programm ausgearbeitet werden, das auf eine umfassende gesellschaftliche Transformation abzielt. Vor diesem Hintergrund müssen drei Problemebenen unterschieden werden.
Auf Bundesebene steht der Umsetzung einer Volksgemeinschaft genau dieses politische Sendungsbewusstsein entgegen. Das offene Bekenntnis zu einem nationalsozialistischen Programm verstößt gegen das in der BRD zur Staaträson erhobene Tabu von offenem Antisemitismus und Nationalsozialismus. Der Grundmythos des politischen Systems BRD war immer, das vollkommen Andere des NS zu sein. Genau aus diesem Grund wurde dieses Tabu errichtet. Wie die Fälle Hohmann und Herrmann zeigen, werden entsprechende Statements skandalisiert und führen letztlich zum Ausschluss aus dem politischen Diskurs. Dadurch wird letztlich das Tabu des NS weiter verfestigt. Das Tabu verhindert zwar einerseits, dass das aktuelle Programm der Nazis, die BRD in eine völkische Variante der DDR umzuwandeln, realistische Chancen auf Umsetzung genießt, es ist aber auch gleichzeitig die Bedingung, unter der die Elemente nationalsozialistischer Ideologie fort existieren, da es eine grundlegende Auseinandersetzung mit diesen verhindert.
Auf den beiden anderen, nämlich der lokalen und der regionalen Ebene, stellt sich das Problem bereits ganz anders dar.
Auf lokaler Ebene existieren mit den national befreiten Zonen politische Bereiche, in denen das NS-Tabu nicht mehr wirkt. Dort dominieren Nazi-Positionen den politischen und kulturellen Alltag, sie sind sowohl organisatorisch als auch ideologisch mit den lokalen Institutionen verflochten. Auf dieser Ebene ist die Nazibewegung am unmittelbar gefährlichsten, weil sie bis zum Mord an denen geht, die nicht als zur Volksgemeinschaft zugehörig angesehen werden. Gleichzeitig ist sie dort am stabilsten und beschränkt sich nicht mehr auf irgendeine Subkultur, sondern ist zur hegemonialen Alltagskultur geworden, was der NS-Ideologie wiederum ein Stück Unabhängigkeit von ihrer organisatorischen Basis verschafft.
Aus dieser lokalen Verankerung folgt die dritte Problemebene, die vor allem langfristig relevant werden dürfte. Die lokale Verankerung ermöglicht den Nazis über regionale Wahlerfolge, am regionalen politischen Diskurs teilzunehmen. Dadurch erweitert sich das Spektrum der in der öffentlichen Diskussion möglichen Aussagen - mit weit reichenden Konsequenzen. Zum einen werden dadurch die Positionen im bürgerlichen Teil der politischen Landschaft entproblematisiert, da alleine eine formale Distanzierung von den Nazis ausreicht, um sich der Zugehörigkeit zum demokratischen Spektrum zu vergewissern. Solange man sich in Dresden von den Nazis distanziert, können Lokal- und Landespolitiker Positionen vertreten, die sich lediglich im Ausdruck von Holger Apfels »Bombenholocaust« unterscheiden.
Gleichzeitig stumpft das Kommunikationsverbot nationalsozialistischer Äußerungen ab, einfach dadurch, dass sich eine Position im Diskurs etabliert hat, die die Tabus schlichtweg nicht anerkennt. Somit läuft das Tabu nationalsozialistischer und antisemitischer Ansichten Gefahr, von zwei Seiten unter Druck zu geraten: durch seine Nichtanerkennung durch eine etablierte Naziposition und durch die Entproblematisierung von Äußerungen aus dem politischen Normalbetrieb.
Zivilgesellschaftliche Gegenkräfte und das neue Deutschland
Nun ist Bremen nicht Bremerhaven und erst recht nicht Mügeln, Hoyerswerda oder Mittweida. Die Differenz zur (meist ost-) deutschen Provinz ist auch nicht lediglich geografischer Natur. Das Tabu nationalsozialistischer Ideologie ist nur eine der Gegenkräfte, die einer Machtergreifung im Wege stehen. Das zweite Element lässt sich vage als »Projekt Zivilgesellschaft« titulieren. Projekt, weil es beides ist: gesellschaftlicher Zielzustand und in manchen Gegenden auch tatsächlich die dominante Organisationsform gesellschaftlicher Integration. Um begrifflicher Verwirrung vorzubeugen: Die »Zivilgesellschaft« als gesellschaftspolitisches Reformprojekt unterscheidet sich sowohl kategorial als auch inhaltlich von der Verwendung des Begriffs in der neo-gramscianischen Theorie (und neuerdings auch des politikwissenschaftlichen Mainstreams). Letztere stellt eine analytische Kategorie dar, mit der ein gesellschaftlicher Raum (bei Gramsci der erweiterte Staat) beschrieben werden soll, in dem Kämpfe um ideologische Hegemonie ausgetragen werden. Insofern sind alle Akteure mit politischer Agenda per definitionem Teil der »Zivilgesellschaft«. Das hier vorgestellte »Projekt Zivilgesellschaft« ist allerdings gänzlich verschiedener Natur. Es handelt sich nicht um die Bezeichnung einer analytischen Kategorie, sondern um ein konkretes gesellschaftliches Reformprojekt, das durch die rot-grüne Bundesregierung angestoßen wurde und auch den Regierungswechsel unbeschadet überstanden hat. Insofern geht es über eine formale Bestimmung als politische Akteure, die nicht Teil des Staatsapparats sind, hinaus und umfasst normative Vorstellungen, darüber, wie das Verhältnis zwischen Ökonomie und Gesellschaft durch bürgerliche Eigeninitiative zu regeln ist, und darüber, dass es Aufgabe der BürgerInnen sei, für die Umsetzung eines liberalen, weltoffenen, neuen Deutschlands einzutreten.4 Als im Sommer 2000 die damalige rot-grüne Bundesregierung den »Aufstand der Anständigen« gegen Nazis ausrief, zielte sie genau auf jenes Projekt. Ziel war eine Abkehr vom traditionellen Deutschland, mit dem Mief der Bonner Republik, einem völkischen Staatsbürgerschaftsrecht etc., die dem Wunschbild einer modernen, weltoffenen Nation im Wege stand. Die bis dahin vorherrschende gesellschaftliche Realität war aber auch dysfunktional für das neue außenpolitische Selbstbewusstsein: Nazis und ein weit verbreiteter, gewalttätiger Rassismus stehen in eklatantem Widerspruch zu einem Deutschland, das glaubhaft vorgeben will, geläutert zu sein und die Menschenrechte in der Welt verbreiten zu wollen. Entsprechend war das inhaltliche Ziel des Projekts Zivilgesellschaft die glaubhafte Mobilisierung der Bürger gegen Nazis sowie eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts. Auch die Einführung der sog. »Homo-Ehe« war Teil dieses Unterfangens. Insofern ist Zivilgesellschaft auch inhaltlich bestimmt. Bürgerinitiativen gegen die Einrichtung von Asylbewerberheimen sind somit nicht Teil des »Projekts Zivilgesellschaft«. Auch in der Selbstbeschreibung der Protagonisten ist die Zivilgesellschaft nicht inhaltlich neutral. Beispielsweise Annette Kahane, Vorsitzende des Stiftungsrates der Amadeu-Antonio-Stiftung: »Die Antwort auf Faschismus ist nicht Antifaschismus, sondern Zivilgesellschaft«.5 Ein zweites Ziel bezieht sich auf die Vermittlung von Politik und Gesellschaft, als die Zivilgesellschaft das idealtypische Gegenmodell zu dem autoritärem Staatsverständnis des rechten Konsenses darstellt. Hier geht es darum, dass die Bürger selbst bestimmt die Gestaltung von Gesellschaft und Politik übernehmen. Dass es sich bei diesem Projekt um mehr als um eine bloße Willensbekundung der politischen Klasse handelte, lässt sich unter anderem an finanzkräftiger Ankurbelung von Civitas-Projekten, mobilen Beratungsstellen und anderen, gegen Nazis gerichteten Projekten ablesen.6 Auch die Aussage, dass die gesamte Bevölkerung bei der Bekämpfung des »Rechtsextremismus« gefordert sei, leistete der Gesellschaft kräftige Unterstützung. Als etwa am 8. Mai 2005 Nazis unter dem Brandenburger Tor marschieren wollten, wurde dies durch eine breite gesellschaftliche Mobilisierung verhindert. Und selbst in der bayrischen Provinz schafft man es, wie beispielsweise in Wunsiedel, Naziaufmärsche durch gesellschaftliche Gegenwehr zu verhindern. Und selbst in Dresden, das bis dato repräsentativ für die sächsische Eigenschaft stand, gegenüber sämtlichen Modernisierungsversuchen resistent zu sein, demonstrieren mehrere tausend Menschen gegen den Naziaufmarsch am 13. Februar. Als Resümee des zivilgesellschaftlichen Aufbruchs lässt sich festhalten, dass die Antifa seit dem Sommer 2000 ihr Monopol auf den Antinazi-Kampf verloren hat. Kein Zufall ist es, dass das zivilgesellschaftliche Engagement gegen Nazis mit den ersten deutschen Kriegen seit 1945 und der dazugehörigen semantischen Verschiebung von »Krieg trotz Auschwitz« zu »Krieg wegen Auschwitz« korreliert. Diese Verschiebung, die erst deutsche Kriegseinsätze möglich gemacht hatte, wäre ohne eine umfassende gesellschaftliche Mobilisierung gegen Nazis und einen allgemeinen gesellschaftspolitischen Modernisierungsprozess nicht möglich gewesen.
Dadurch hat sich aber das gesellschaftliche Koordinatensystem für antinationale, antifaschistische Politik grundsätzlich verschoben. Antifaschistische Politik steht vor dem Problem, ungewollt zu dieser Inszenierung eines neuen, modernen Deutschlands beizutragen. Weder militantes Auftreten noch das obligatorische »nie wieder Deutschland«, bzw. »Communism« unter den Demoaufrufen bewahrt davor, sich vor den zivilgesellschaftlichen Karren spannen zu lassen. Zu groß ist dazu die zivilgesellschaftliche Integrationsleistung, während das, was tatsächlich praktisch auf der Straße passiert, zu stark mit den zivilgesellschaftlichen Aktionen konvergiert.
Insofern ist eine Diskussion über die Möglichkeiten antifaschistischer Politik mehr als angebracht. Die Grundlinien lassen sich dabei leicht formulieren: Antifa heißt zwar nicht ausschlafen. Es heißt aber, dort auf Antinazi-Aktivitäten zu verzichten, wo man der zivilgesellschaftlichen Vereinnahmung nichts Praktisches entgegenzusetzen hat.
Aber selbst in den Situationen, wo es keine aktive Zivilgesellschaft gibt, hilft es nicht weiter, auf Konzepte aus den 1990er Jahren zu setzen. Die Benennung von Nazistrukturen selbst stellt keine Beschäftigung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen von Ort dar und ist nicht geeignet, lokalen Handlungsdruck zu erzeugen. Wie der Besitzer des Sportsfreund heißt, ist für einen politischen Umgang mit der Bremer Nazibewegung unerheblich. Was aussteht ist vielmehr eine Analyse ihrer gesellschaftlichen Verankerung. Dies ist jedoch das genaue Gegenteil von Namensnennung, vielmehr kommt es darauf an zu zeigen, inwiefern Nazis sich in das lokale Meinungsbild einfügen. Erst vor diesem Hintergrund lässt sich die Frage beantworten, ob man Teil der Selbstinszenierung der Bremer Zivilgesellschaft ist, oder inwiefern hier Nazis tatsächlich die Alltagskultur bestimmen. Doch selbst wenn letztere Einschätzung zutrifft, hilft das Outing von Nazis, wie im Fall der Bremer Ladenschlusskampagne, nicht weiter. Ohne eine Analyse und ohne die Skandalisierung der konkreten gesellschaftlichen Situation, d.h. das Aufzeigen, inwiefern Elemente nationalsozialistischer Weltanschauung von weiten Bevölkerungsteilen geteilt werden, kann Antifa nicht zu einem politischen Projekt werden.
Erst dadurch entsteht für die politischen und gesellschaftlichen Institutionen vor Ort der Handlungsdruck, der diese zu einer Schließung von Nazitreffpunkten oder ähnlichem bewegt. Solange aber nicht eine gesellschaftliche Situation skandalisiert wird, in der Nazis akzeptierter Bestandteil der öffentlichen Meinung sind und die Mehrzahl der Bevölkerung noch nicht einmal in der Lage ist, nationalsozialistischen Ideologemen inhaltlich zu widersprechen, lässt sich auf die politischen Institution und Funktionsträger vor Ort kein Druck aufbauen, aktiv gegen Nazis vorzugehen. Der Verweis auf allgemein kapitalistische Zustände hilft an dieser Stelle nicht weiter, ist er doch weder geeignet, den spezifischen Unterschied zwischen kapitalistischen Verhältnissen mit und ohne Nazidominanz zu erfassen, noch durch die Benennung konkreter gesellschaftlicher Zustände Handlungsdruck aufzubauen. Doch selbst das Mittel der Skandalisierung ist nur von begrenzter Wirkung, setzt es doch voraus, dass sich die entsprechenden Kommunen tatsächlich an den Pranger stellen lassen, d.h. dass eine überregionale Öffentlichkeit existiert, die tatsächlich an Rassismus und völkischem Nationalismus Anstoß nimmt. Wie die ostdeutsche Provinz zeigt, kann dies nicht vorausgesetzt werden. Wo der Adressat für diese Skandalisierung fehlt, wie in der ostdeutschen Provinz, ist dieses Mittel bestenfalls als kurzfristige Intervention geeignet. Insofern ist die Diskussion antifaschistischer Gegenkonzepte lange überfällig.
ANMERKUNGEN:
1) An der auch der Autor dieser Zeilen nicht unbeteiligt war; insofern handelt es sich auch hierbei um eine zumindest partielle Revision der damals vorgestellten Analysen und Prognosen. Siehe BgR Leipzig, Times are changing, in: CEE IEH, Nr. 83/2001, online unter: http://www.conne-island.de/nf/83/26.html.
2) Das Ziel des Bündnisses bestand von Anfang an nicht in der Verhinderung der nationalsozialistischen Demonstrationen, sondern darin, einen möglichst breiten Protest gegen diese zu organisieren.
3) Vgl. BgR Leipzig, Konsens und Tabu. Ein Rechenschaftsbericht mit einer gesellschaftlichen Einschätzung der nationalsozialistischen Tendenzen in der BRD 2005, Leipzig 2005, online unter: http://www.nadir.org/nadir/initiativ/bgr/pdf/bgr_kt05.pdf
4) Siehe unter anderem Gerhard Schröder, Die zivile Bürgergesellschaft. Zur Neubestimmung der Aufgabe von Staat und Gesellschaft, in: Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, Nr. 4/2000
5) Vortrag von Annette Kahane im Rahmen der Ausstellungseröffnung »’Das hat’s bei uns nicht gegeben!’ – Antisemitismus in der DDR«, Leipzig, 11. 7. 2009.
6) Inwiefern diese Projekte ihre Ziele erreichen, steht auf einem ganz anderen Blatt Papier.
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