Das Blitzinterview
Mit Johann Kresnik, Regisseur des Theaterstücks »Amerika«
Herr Kresnik, als erfolgreicher Theaterregisseur haben Sie das kulturelle Leben in Bremen entscheidend mitgestaltet. Bremen gilt als eine sehr liberale und weltoffene Stadt - können Sie für sich diesen Eindruck bestätigen? - JA
Auch Sie selbst haben ja den Ruf, sehr innovativ zu sein, was manchmal - wie z.B. im Fall der »Zehn Gebote« - an verschiedener Stelle auch auf Missfallen trifft. Wir fragen uns, ob in einem solchen Fall nicht besonders deutlich wird, dass gerade Ihre Inszenierungen sehr stark auch immer eine politische Botschaft mit sich tragen. Würden Sie zustimmen, dass dies ein Grund dafür ist, dass die Reaktionen auf Ihre Stücke oft sehr gespalten sind? - JA
Ihr letztes Stück »Amerika« ist eine Adaption von Kafkas Romanfragment »Amerika«. Sie führten in gewisser Weise in Ihrer Inszenierung die von Kafka in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ersonnene Romanfigur Karl Rossmann mit einer Interpretation des gegenwärtigen Amerikas zusammen. Wir würden gerne wissen, ob dieses Amerikabild sich aus Ihren eigenen Erfahrungen speist - waren Sie in letzter Zeit in den USA? - JA
Wie würden Sie Ihre Erfahrungen mit der amerikanischen Kultur charakterisieren? Positiv? - NEIN
Negativ? - JA
Kritische Stimmen des Feuilletons warfen Ihnen Antiamerikanismus vor. Finden Sie selbst, dass das in Ihrem Stück gezeichnete Bild von Amerika, in dem Profitmacherei und ein Hang zu einer »konsumgeilen« Haltung vorherrschen, antiamerikanisch ist? - JA
Ihre Inszenierung greift - so meinen wir bemerkt zu haben - nicht nur auf Kafkas »Amerika«, sondern auch auf einige seiner Erzählungen wie etwa »In der Strafkolonie« oder »Das Urteil« zurück. Dort ist der Topos der Schuld Thema, der auch in Ihrem Stück eine zentrale Rolle spielt, z.B. wenn Rossmann und seine Geliebte Felice von Vertretern der amerikanischen Regierung für schuldig befunden werden. Würden Sie zustimmen, dass Ihr Stück den Eindruck erweckt, die USA würden sich als Richter über die Welt aufspielen? - JA
Amerika hat eine große Bedeutung für die europäische Geschichte und Kultur. Kann man von einer »Amerikanisierung« der europäischen Gesellschaft sprechen? - JA
Die Einwanderer in Ihrem Stück »Amerika« sind ganz unmittelbar dem Einfluss der amerikanischen Kultur ausgesetzt. Doch lassen sich Karl und Felice nicht »amerikanisieren«, obwohl aktiv versucht wird, sie zu brechen. Sie halten an ihren »europäischen« Werten fest. Als Folge landen sie in einem Internierungslager. Spiegelt dieses Gewaltverhältnis auch das sich in Begriffen wie »Amerikanisierung« ausdrückende Verhältnis zwischen den USA und Europa wieder? - JA
Uns scheint, dass die USA in Ihrem Stück eine Art metaphorische Stellvertreterfunktion für die »schlechten Seiten« des Kapitalismus einnehmen. Aber da kommt uns der Gedanke, dass ja auch die europäischen Staaten eine kapitalistische Wirtschaftsweise haben. Ist unser Eindruck richtig, dass Sie aber davon ausgehen, dass ein fundamentaler Unterschied zwischen einem amerikanischen und einem europäischen Kapitalismus besteht? - JA
Glauben Sie, Menschen mit einem positiven Amerikabild durch Ihr Stück über die Schattenseiten der USA aufklären zu können? - NEIN
Stimmt es, dass Sie bei einer Voraufführung einen Besucher, der über Ihr Stück gemeckert hat, des Raumes verweisen wollten, weil er Amerikaner war? - NEIN
Nicht nur dieser Inszenierung von Ihnen wurde ja vorgeworfen, Sie würden zu stark mit Effekten operieren. Uns stellt sich die Frage, ob Sie damit nicht in eine seltsame stilistische Nähe zu dem geraten, was in Ihrem Amerikastück als amerikanische Kultur charakterisiert wird. Würden Sie dem zustimmen, dass Ihre Inszenierung durch die direkte Ansprache des Publikum durch Dialoge, die kaum Zweideutigkeiten und Interpretationsspielraum zulassen, durch eine atemberaubende Geräuschkulisse und den wirksamen Einsatz von Wasser, Feuer, Rauch nicht in die Nähe einer - jetzt sagen wir mal überspitzt - Hollywood-Ästhetik gerät? - NEIN
Auf der anderen Seite ist Ihr Stück aber auch klar eine Parodie auf Hollywood - wenn wir uns z.B. Szenen ansehen wie mit Klara Pollunder, die stark geschminkt und mit überdimensionalen künstlichen Brüsten ausgestattet versucht, Karl Rossmann zu verführen. Klara Pollunder ist in gewisser Weise der Gegenentwurf zu Felice Oldenburg, der Verlobten Karls. Glauben Sie, dass der »weibliche american way of life« wie er in Ihrem Stück beschrieben wird, also die Ausrichtung nach bestimmten Schönheitsnormen á la »Baywatch«, von der wahren Schönheit einer Frau ablenken kann? - JA
Bei ihrer Ankunft in Amerika werden die Protagonisten Ihres Stückes auf einer Rampe nach rassistischen Kriterien sortiert. Diese Szene weckt durchaus Assoziationen zum Rassenwahn der Nazis. Gibt es einen Zusammenhang zwischen der amerikanischen Einwanderungspolitik und der nationalsozialistischen Rassenpolitik? - JA
Ihnen wurde auch vorgeworfen, Ihr Stück suggeriere einen assoziativen Zusammenhang von Auschwitz und Guantanamo. Würden Sie das als Interpretationsthese gelten lassen? - NEIN
Würden Sie, könnten Sie das Stück noch einmal inszenieren, diesbezüglich etwas vorsichtiger sein, etwas an Polemik und Schärfe rauslassen? - NEIN
JOHANN KRESNIK, von 1970 bis 2007 Choreograph und Regisseur am Bremer Theater, inszenierte u.a. die Stücke »Die letzten Tage der Menschheit« und »Die zehn Gebote«. »Amerika« wurde während der vergangenen Spielzeit im Bremer Güterbahnhof aufgeführt. Das Interview führten Radek Krolczyk, Eric Peters und Sonja Witte.
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