Aktuell: 

Mai, 2019:
Ausgabe #10 ist erschienen

Brigitte Classen und Uta Ruge

Wünsche nach Kraft durch Freude

Ein Gespräch

 

Falls es weiterhin eine Frauenbewegung geben sollte, wäre es an der Zeit, dass die jetzige sich überlegte, wie sie aus ihrer Angepasstheit und den schönen Gefühlen herauskäme. Sie müsste radikal politisch werden, und politisch nicht in dem Sinne, dass gerade das Private politisch sei.
Trotz fundamentaler Gleichheiten der hiesigen Parteien, gab es mit dem Regierungswechsel [1983 – Anm. Extrablatt] einen Tendenzwechsel. Wie stets sind nicht zuletzt die Frauen von ihm betroffen.
Wie weit geht das Interesse von Frauen am Staat, in dem sie leben? Welche Möglichkeiten, die Politik zu beeinflussen, hat die Frauenbewegung genutzt? Hat sie den Staat als Staat überhaupt jemals in Frage gestellt? Eigentlich wollte sie doch einmal Herrschaft abschaffen, was ist daraus geworden?
Immer diese stille Hoffnung, dass Amazonen die Großmütter waren, an die Pétroleuses erinnern sich die Frauen weniger, und die Pariser Commune ist ihnen nicht besonders wichtig. In der noch existenten Frauenbewegung ist eins sichtbar: der Rückzug in die »totale Subjektivität«, danach der Ausbruch in die totale Anpassung.

UTA: Jetzt mal zum Anfang der Frauenbewegung. In der Auseinandersetzung mit dem Staat war doch der § 218 da. Es gab Demonstrationen dagegen, und die Frauen waren sich einig. Es gab die Großveranstaltung von Brot & Rosen, das erste Frauenhandbuch, es gab ein gemeinsames Ziel. Und nach der wenn auch halbherzigen Streichung dieses Paragraphen war die Luft raus.

BRIGITTE: Die Frauenbewegung lebte im Kampf für legitime Abtreibung. Nach der Änderung dieses Gesetzes bestand die Schwierigkeit, ein anderes gemeinsames Interesse zu finden. Denn die Tautologie, Frauen sind Frauen, reichte nicht aus.

U.: Das heißt eigentlich, der Beginn der Auseinandersetzungen mit dem Staat war eine Forderung an ihn, und nicht etwa, nachdem diese halbwegs erfüllt war, die Infragestellung des Begriffs der Politik, der Macht überhaupt. Oder hat es die gegeben?

B.: Nein, es ging um die Frage legalisierter Abtreibung und um sie allein. Das war keine Staatskritik, sondern eine Kritik der Staatspraxis, wie sie in diesem Paragraphen festgelegt war. Und die Frage der Gewalt ist die Frage der Vergewaltigung, bezogen zwar auf viele, aber einzelne Frauen.

U.: Und was passierte, als die Forderung teilweise erfüllt war?

B.: Es gab so eine Art Rätselraten; sowohl in Frankreich als auch in Deutschland konnte man feststellen, dass die Frauenbewegung abflaute. Das, was ihr Energie gegeben hatte, der Kampf und die Form des Kampfes, war plötzlich weg. Ein anderes Ziel, wofür jetzt zu kämpfen sei, bot sich nicht sofort an. Man hätte auch mal gegen den ganzen Staat kämpfen können, aber nein, das war zu schlimm und riskant. Frauen sind bekanntlich nicht gewalttätig, im Gegensatz zu Männern. So richteten die Frauen sich gegen die persönliche Gewalttätigkeit der Männer und prangerten Vergewaltigungen an mit dem Tenor, jeder Mann sei ein potentieller Vergewaltiger. Andererseits wurden die Qualitäten der Frau besonders hervorgehoben, eben ihr Verzicht auf Gewalt, ihr Bereitsein zum Frausein, wobei das Frausein jetzt plötzlich als das Andere und Bessere hervorgehoben wurde. Während in der ersten Frauenbewegung eher versucht wurde, die Geschlechterdifferenzen zu eliminieren, oder ein Maß von Gleichheit herzustellen, ohne gleich an Androgynität zu denken, wurde jetzt die Differenz betont. Diese Weiblichkeit betonte alle Tugenden, die Männer an Frauen immer so geschätzt hatten und die ihre Unterlegenheit ausmachten. Das zeigte sich deutlich im Schreiben der Frauen, dass sie, die Ewigkeiten unterdrückt waren, worauf sie immer leidvoll hingewiesen, als ihre Fähigkeit und Möglichkeit der Selbstfindung entdeckt hatten. Und dieses Schreiben wurde zum besonderen Schreiben, dem Schreiben mit dem Körper, da ja der Kopf männlich sei und der Körper weiblich. Alles drehte sich dann nur noch um den Körper, nur nicht um den Staatskörper, der sich als Leviathan doch anbot.

U.: Es kam von der Kritik der Weiblichkeit zur »Neuen Frau«?

B.: Damals war es schwierig zu sagen, dass Frauen denken sollten, denn der Hass auf die linke Studentenbewegung, aus der die Frauenbewegung entstanden ist, war groß. Bücher zu lieben war Frevel, zu studieren verdächtig. Das goldene Mittelmaß feierte Triumphe. Heute ist es eher so, dass Unifrauen in der Frauenbewegung sehr geschätzt werden, je angepasster, desto besser. Eine Frau! Allerdings glaube ich nicht, dass schwach zu denken besser ist als gar nicht denken. Und diese ewig strickenden Frauen. Und die Strickmuster dann in den Texten. Denn jede Frau sollte schreiben. Bei der Vorbereitungsgruppe der späteren »éditions des femmes« galt noch die Maxime, alles zu veröffentlichen. Jede Frau sollte ihr Schubkästchen oder Nähkästchen, oder sonstige Orte des Versteckens leeren und den Schwestern kundtun. Meistens handelte es sich um Texte mit Tagebuchcharakter oder süßliche Lyrik, Texte, die sich so glichen, dass man sie kaum auseinanderhalten konnte. Immerhin, das Schreiben war nicht verboten, beim Denkverbot für Frauen hätte ja auch das sein können.

U.: Es gab ja einen Ausweg, man durfte mit dem Körper schreiben.

B.: Mit dem Körper passierte so allerlei. Die Linken waren bekanntlich recht eifrig gewesen, sich die Körper von Frauen, die tagsüber tippen durften, nachts verfügbar zu machen. Wer hätte damals nicht herzlich gelacht über Zoten wie »Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment«. Nur ist leider die Freizügigkeit im Bett, die dann sowieso auf Kosten der Frauen geht, nicht zu verwechseln mit Freiheit allgemein, so pathetisch das auch klingen mag. Die Lektüre von Freud und Fromm hilft da auch nicht. Unverständlich bleibt jedoch, wie Frauen sich aus der Affäre zogen. Kinder, die zur Zeit des § 218 unerwünscht waren, wurden innig geliebt, als die Abtreibung halbwegs legal war. Nicht nur das, urplötzlich waren Frauen keine Frauen mehr, wenn sie keine Kinder hatten. Eine Gebärfreudigkeit sondergleichen breitete sich aus, allerdings nur bei den frauenbewegten Frauen. Karin Struck war von Julia Kristeva plötzlich nicht mehr weit entfernt.

U.: Zugleich war dies doch aber auch ein Reflex auf eine Politik, die inzwischen zur allgemeinen Zerstörung geworden war. Ob es um Vergiftung der Umwelt oder Kahlschlagsanierung in den Städten ging, ob um brutale Durchsetzung von AKW-Bau oder sozialtechnologische Erfassung der immer größer werdenden ›Rand‹gruppen. Das Wort von der Betonrepublik schien vielen das einzige zu sein, das die endlichen Resultate der als umfassende Reformierung geplanten Veränderung noch wahrheitsgemäß beschrieb. Alle wurden einerseits zum Klientel irgendeiner Behörde oder eines Programms, andererseits wurde damit die Abhängigkeit festgeschrieben. In dieses Dasein, das sozusagen im freien Fall festgezurrt war, schienen Kinder wieder ein Moment von Nicht-Funktionieren, von Verspieltheit, Wärme und Hoffnung reinzubringen. So krumm das vielleicht gedacht ist, so ist es doch als Auflehnung gedacht. Nur solange das eigene Verhältnis zur herrschenden Politik darin nicht praktisch bestimmt ist, ist es eben leider nur die schlichte und für den Staat sehr wichtige Tatsache, dass wieder Menschen produziert werden.

B.: Das Merkwürdige, schon Schizophrene dabei ist, dass diese geforderte Kinderproduktion zeitlich mit der Modifizierung des § 218 zusammenfällt. Als dann unübersehbar wurde, wie degeneriert die Natur bereits war durch Technologien, Verschmutzung jeder Art, wie weit möglicherweise manches nicht mehr zu retten war, da betonten Frauen die Geborgenheit in der Natur. Da wollten sie zurück zu dieser Natur, obwohl von dieser recht wenig übriggeblieben war, und noch weniger übrigbleiben würde, wenn überhaupt. Zu der Zeit, als sie sich darüber klar wurden, dass der nächste Weltkrieg möglicherweise unvermeidlich sei, der Hang zur Weissagung feierte Triumphe, zu dieser Zeit produzierten die Frauen der Frauenbewegung immer mehr Kinder. Wie ist das Verhältnis von Frauen zum Staat eigentlich? Sind sie nicht wieder das, was die Faschisten von ihnen forderten, was grundsätzlich von ihnen zumindest in der westlichen Welt gefordert wird, in Staaten welcher Couleur auch immer, Trägerinnen des Staates, die dem Staat umso mehr Kinder »schenken« sollen, je gefährdeter das Überleben ist? Frauen gehen so weit, zu behaupten, Mütterlichkeit sei ihre eigentliche Bestimmung, eine Frau ohne Kind sei keine Frau. – Eine erstaunliche Politik.

U.: Sie geben ihr also die Körper zurück als Basis der Politik. Denn so kann weiter produziert, konsumiert und expandiert werden, da die Reproduktion des Staatskörpers gesichert wird; übrigens nach einer Zeit, in der sie nicht gesichert schien.

B.: Die Frau opfert sich für den Staat, indem sie weiter gebiert. Sie gibt das zwar nicht zu, sie sagt, sie opfere sich nicht, sondern sie möchte – und das ist ihre Legitimität – nicht nur die Wärme der drohenden Atombombe. Sie denkt ›in dieser kalten Zeit‹ nicht an das Los ihrer Kinder.

U.: Es schien mehr zum Bild der Weiblichkeit zu gehören, als dass es einem unangestrengten Bedürfnis entsprang: Kinder zu wollen. Es war eine Maxime, und man redete jahrelang, ob man es wolle und wann, und dass, ja wirklich… aber was dann… Meist passierte es dann kurz vor der Altersgrenze, und das Kind wurde dann eingefüttert in die sozialtechnologische Begrifflichkeit über sich selbst: es brachte einem Mütterlichkeit, Sinnlichkeit, Erotik, und das alles bei Berufstätigkeit…

B.: Ja, und eben die Wärme… und die Energie. Ich war neulich bei einer Diskussion, bei der die Mehrzahl der anwesenden Frauen nur noch von ihrem Energiehaushalt sprachen. Was Energie abgibt und was welche verbraucht. Ich dachte dabei immer an den stillen Brüter; ausgerechnet Frauen, sie glauben, das Modell Maschine sei übertragbar auf den Menschen. Soweit das die Geschlechtslogik des Mannes zum Ausdruck bringt, die sich seit der späten Aufklärung, frühen Industrialisierung als Logik der Maschine darstellt, mag das Modell auch tatsächlich übertragbar sein. Aber ich verstehe nicht, warum ausgerechnet Frauen, die eigentlich von dieser Maschinenwelt wegwollen, aus schlechtem Verständnis und gutem Willen trotzdem mit diesem Modell, aus dem dieser Energiebegriff resultiert, arbeiten.

U.: Also man hat Bedürfnisse und einen Haushalt. Ist das jetzt das Resümee?

B.: Ich würde nicht behaupten, dass die gesamte Frauenbewegung auf solche Schemata zusammenschrumpft, grundsätzlich aber sagen: Die derzeitige Frauenbewegung ist, ohne dass sie sich besonders mit dem Staat auseinandersetzt, ganz staatstragend.

U.: Die Frauenbewegung versuchte, den Staat zu ignorieren, der Staat hat sie aber nicht ignoriert. Ein Beispiel: die Frauen, die die Häuser für geschlagene Frauen initiiert und getragen haben, haben anfangs sehr darauf bestanden, autonome Frauenhäuser zu machen, d. h. sich möglichst selbst zu finanzieren, aus Beiträgen und Spenden, und die Arbeit auch selbstbestimmt zu machen. Dann aber, als sich zeigte, welch einem wirklich gigantischen Bedürfnis sie da auf die Spur gekommen waren und sie unter dem Ansturm der Frauen fast zusammenbrachen, erwiesen sich die eigenen Mittel als zu knapp. Vom Staat wurde Geld gefordert, zumal es ja stimmte, dass sie der Gesellschaft (Kranken- und Irrenhäusern, Morddezernaten und Fürsorgeheimen) Arbeit abnahmen. In diesem Moment tat der Staat das, was zu erwarten gewesen war: er stellte seine Bedingungen. Darüber haben sich dann viele Projekte zerstritten. Dann kamen die städtischen Frauenhäuser und jetzt ist es soweit, dass z. B. die Caritas auch grad ein Haus eröffnet hat. Man nimmt die Idee auf und lässt in diesen Häusern natürlich nur die Frauen arbeiten, die bereit sind, den staatlich, amtlich gesetzten Rahmen nicht zu überschreiten. Dasselbe passierte in der Universität bzw. Wissenschaft: am Anfang gab es die Idee, nach dem Vorbild der Amerikanerinnen Women Studies einzurichten, man forderte Geld UND Autonomie. Aber man kriegte das erste kaum, und das zweite nach und nach wieder abgeschnitten. Oder der Staat, in diesem Fall die CDU-Regierung in Niedersachsen, gründete selbst ein Institut (»Frau und Gesellschaft«) und schrieb Stellen aus, so dass die Frauen sich gegenseitig bewachen mussten, dass ja keine annimmt.

B.: Der Staat kann sich großzügig und liberal geben, solange diese »Feministinnen« mitmachen. Sie bekommen dann Posten in relativ unbedeutenden, gesellschaftlich angepassten Bereichen, sei es in der Filmförderung, sei es im Rundfunkrat, sei es in einer Talk-Show. Das ist kleinkariert bis zum letzten, aber diese arrivierten Frauen tun so, als sei das sowas wie der lange Marsch durch die Institutionen. Der Claqueurinnen dürfen sie dabei gewiss sein. Die finden jedes Pöstchen mit einigermaßen Glanz und Gloria »super«. Sonderbarerweise ändert sich die Politik in diesen Gremien durch die Teilnahme von Alibifrauen höchstens minimal. Das Ausmaß ihres Handlungsfreiraums bleibt überschaubar, weniger ihre Karrierewut. Die vielen Jahre unbezahlter Arbeit mögen letztere erklären, nicht jedoch die totale Anpassung und überhaupt nicht subversive Programme wie Hungerlohn für Hausarbeit. Früher hatte die Frauenbewegung die Bereitschaft, sich zu wehren und ein Maß an Radikalität und Witz. Davon ist unterdessen wenig geblieben, höchstens noch in der avantgardistischen Kunst.

U.: Setzt das ein bei den Frauen, die unterdessen auf diesen Pöstchen sitzen?

B.: Nein, bei denen hat es längst eingesetzt, sondern auch bei denen, die das gutheißen. Außerdem sollten wir die Menge von Mitläuferinnen nicht vergessen. Gestern war ihnen noch manches zuwider, heute wittern sie neue Berufschancen. Ist kein Platz an der Uni für sie frei, ist es vielleicht einer an einem Institut für Frauenforschung. Wissenschaft wird unterdessen noch strenger geschlechtsspezifisch getrennt als zuvor, allerdings nur da, wo es um diesen Wurmfortsatz von Frauen geht. – Hübsch sind auch die Bestrebungen zu Frauenparteien, da die Interessen von Frauen nicht ausreichend vertreten sind im Bundestag, im Bundesrat, auf Länderebene oder sonstwo. Männer sind auch zugelassen in Frauenparteien. Zu ihrem Programm kann man nur sagen, was Walter Benjamin von den bürgerlichen Parteien sagte, deren Organisationsmodell sie auch übernehmen; es sei nichts anderes als ein schlechtes Frühlingsgedicht.
Wenn ich lese, wie gerade Frauen Frauen auf eine immergleiche, quellende Biologie festlegen, wird mir klar, wieso von Veränderung und Bewegung geschwiegen wird. Unter Frauenbewegung hatten wir eine Veränderung der Lebensbereiche, eine Abschaffung von Herrschaft schlechthin verstanden mit neuen Zielen und Utopien, die über den Alltag hinausweisen. Allerdings denke ich nicht an »Lesbian Nation« oder den gemeinsamen Bauernhof in Schleswig-Holstein. Diese Frauenbewegung, die wir wollten, gibt es nicht mehr bzw. noch nicht. Und bei dem, was unterdessen unter Feminismus verstanden wird, kann ich nur sagen – ich bin keine Feministin... Dieser Einbruch totaler Irrationalität hat für mich mit Denken und Handeln nichts zu tun.

U.: Das heißt, es ist überhaupt nicht gelungen, ein anarches, militantes Moment in die Bewegung zu bringen oder in ihr zu erhalten. Hatte das nicht auch einen Grund im würgenden Zugriff der sogenannten sozialliberalen Politik auf noch die kleinsten Fitzelchen widerständigen Denkens? Ich meine Zugriff durch Berufsverbot, Prozess etc. Die Prozesse von Stammheim haben ja fast noch mehr als die plötzlichen Tode der RAF-Mitglieder im Gefängnis demons­triert, was unter der Einigkeit der Demokraten zu verstehen ist: die reformierte Gesellschaft. Die Rasterfahndung braver Computer in ihrer Lächerlichkeit ist einem fast lieber als der aufmerksame Nachbar mit unbewältigter Vergangenheit. Ist es nicht auch dieses Klima, konkret auch dieses Jahr 1977, das auch den Frauen jeden Mut genommen hat?

B.: Doch, ich glaube schon, aber ich würde da große Unterschiede machen und trennen zwischen verschiedenen Richtungen innerhalb der »autonomen Frauenbewegung«. Nicht zuletzt handelt es sich auch dort um Generationskonflikte, die auf anderen Erfahrungen und anderen Ansprüchen beruhen. Bekanntlich entstand die Frauenbewegung aus Abspaltungen vom überdimensional chauvinistischen SDS, sei es der Frankfurter Weiberrat, sei es der Berliner Aktionsrat. Diese Frauen hatten andere und radikalere Ziele als die wesentlich größere Zahl der jüngeren Frauen, die sich später anschlossen und sich selbst dabei exotisch fanden, eigentlich aber eine gewisse Heimeligkeit suchten, mit ihren Gefühlen nicht wussten wohin und mit einer gewissen Scheinradikalität abends in Frauenkneipen zu leben begannen. Die Alten konnten damit nicht viel anfangen, die meisten distanzierten sich vom allgemeinen Latzhosenlila, zumal sie weder Zeit noch Lust auf schwammige Gruppenzugehörigkeit hatten, oder die allgemeine Fleischbeschau sie anwiderte. Dieser ganze Rummel, den die Frauenbewegung betrieb, ihre Unfassbarkeit bei konkreten Zielen, ihre ewige Leidensfreude gepaart mit Lachverbot, ihre Kritikfeindlichkeit und die geforderte neue Zärtlichkeit – das alles ist nicht neu. Die Schwarze Botin entstand im Herbst 1976 als Reaktion auf diese Sülze.
Und was den Staat angeht, für die meisten Feministinnen ist er nicht relevant, nicht, weil man ihm anarche Vorstellungen entgegensetzte, sondern weil Frauen, nach wie vor begrenzt auf ihren heimlichen Horizont, der auch Kreta oder Indien heißen kann, ganz egal ist, ob es hier ein Kaiserreich gibt, eine Monarchie, eine Demokratie oder sonst was. Das ist lediglich eine Bedrohung von außen für schöne Blütenträume und männlich sowieso. – Was nach wie vor gilt, ist die totale Subjektivität der Frauen, das bewusste oder auch unbewusste Sich-Absetzen in der Hoffnung, sich selber ganz leben zu können, ein Anspruch, von dem man aus Schnulzen aller Art weiß, dass das genial ist. Nur rückt man dann bei aller Legalität des persönlichen Glücks, ob es sich so herstellen lässt, ist eine andere Frage, in Sphären, in denen man sich nicht mehr wehren kann, weil man die Zusammenhänge nicht mehr durchschaut – ich fordere nicht einsames Heldentum oder Ermordung durch den Staatsapparat.

U.: Was hältst Du überhaupt von der Vorstellung einer »weiblichen Politik«?

B.: Nichts. Entweder es gibt eine Politik, und dann kann man sagen, wer zu wessen Nutzen sie macht, das sind reine Interessensfragen. Politik ist weder an sich männlich, noch an sich weiblich. Derzeit machen Frauen eine Politik für Männer und Männer eine Politik für Männer. Da Frauen angeblich zur Passivität neigen, könnten sie sich doch einmal ganz verweigern. Direkte Rezepte kann man selten geben, auch wenn die Frage kommt, wo bleibt das Positive, oder wo bleibt wenigstens das Negative.

U.: In der Kritik der Verhältnisse?

B.: Ja, nur käme es, um bei einem deutschen Dichter zu bleiben, auf die Veränderung der Verhältnisse an, oder, nur wenn, was ist, sich ändern lässt, ist das, was ist, nicht alles. Frauen sollten nicht immer ihre Schwächen beklagen, sondern die Energie haben, von der sie immer reden. Mit dem Entschluss, Kinder zu haben, billigen Frauen allerdings, ans Haus gekettet zu sein. Was bleibt, sind stille Gruppen und Stillgruppen.

U.: Und auch Punkfrauen und Hausbesetzerinnen. Die haben zwar, zum Teil jedenfalls, nichts mit der Frauenbewegung am Hut; dafür sind sie aber eben frech, wollen was haben, was ändern, motzen rum, sicher auch oft Unsinn, aber das ist ja egal. Immerhin haben sie schon eine andere Basis fürs Negativ-Sein. No Future, auch wenn es eine modische Button-Parole geworden ist, geht als Ausgangspunkt des Denkens über wonnige Zukunftsblütenträume um einiges hinaus. Und auch über den Karrierismus vieler Feministinnen. Es steckt in dieser Ansicht davon immer auch die Distanz, die einerseits im Generationenunterschied liegt und andererseits im unterschiedlichen gesellschaftlichen Ort. Aber daran vorbei denken kann man nicht.

B.: Weibliche Wissenschaft, weibliche Kunst, weibliche Ästhetik, gibt es das, die Frage ist oft genug gestellt und oft genug unbeantwortet gelassen worden. Für mich gibt es das nicht, wenn ich auch annehme, dass manche Elaborate von Männern, die als hohe Kunst gefeiert werden, nie von Frauen produziert werden könnten, etwa der gigantische Stumpfsinn von Herrn Beuys, um von Theater und Literatur zu schweigen! Diese idiotische Mammutausstellung »ZEITGEIST« gab einen wunderbaren Überblick über das, was sich Männer unter herrschender Kunst vorstellen. Andererseits wäre undenkbar, dass Männer etwa wie Frida Kahlo malten. Die Ausstellung »FRAUEN INTERNATIONAL« hat 1977 in Berlin und Frankfurt einen Überblick gegeben über Kunst, wie sie von Männern nicht gemacht werden kann. Dadurch avanciert diese Kunst aber nicht zu einer biologisch begründeten. Witzigerweise wurde während dieser Ausstellung auch diskutiert, was frau nun malen darf und was nicht, feministische Agitationskunst wurde gefordert, Körperbemalung natürlich auch, usw., nur ja keine Tafelbilder. Es gab dann die Tendenz, alle Frauen als potentielle Künstlerinnen zu betrachten, d. h. allen Frauen war »Kreativität« eigen, eine Form der Schöpfung, eine Form der »Körperlichkeit«. Körperkunst wie etwa von Valie Export oder Rebecca Horn nehme ich hier aus. Performances nehmen in der derzeitigen Kunst von Frauen eine erstaunlich dominierende Rolle ein. Sie haben bekanntlich eine lange Tradition, von religiösen Spektakeln bis Wiener Aktionismus.
Nur ist die Frauenbewegung sehr eifrig, in allen Bereichen die Kunst auf ein Mittelmaß zu verpflichten, was nicht im Geringsten rechtfertigt, von Ästhetik zu sprechen. Abgesehen von der pädagogischen Variante, Kunsthandwerk als Mittel der Selbstbefreiung und Larmoyanz des ewigen Leidens, gibt es dann noch Gardinen im Wind etwa oder Ich und Meine Freundin Babsi. Die Darstellung einer Ata-Dose ist schon viel zu männlich. Man könnte von Malen und Schreiben als Freizeitbeschäftigung sprechen, wenn der Anspruch nicht weit darüber hinausginge. – Alles muss natürlich rund und bauchig sein, denn männlich ist eckig und stangenförmig. Blumen sind schließlich auch rund und die Welt auch.

U.: Der Feminismus beförderte also eine neue Katalogisierung dessen, was zu sein hat, sowohl im Schreiben (möglichst ungeformt, möglichst unmittelbar soll das sogenannte Ich und ihr Erleben aufs Papier fließen), als auch in der bildenden Kunst. Es gibt neue Tabus. Wenn sie verletzt werden, so wird das Ergebnis disqualifiziert: das sei keine weibliche Kunst, oder: die Künstlerin sei nicht eine frauenidentifizierte Frau, sie ist eigentlich ein Mann. Wie kommt das? Warum hat es im Feminismus dieses Moment der Totalisierung (das ja eines der Biologie war) gegeben? Wo stecken die Ansätze in der Situation der Frauen, dass das passieren konnte?

B.: Ich kann es mir nur so erklären, dass dieses Uraltmännerbild von Frauen ganz internalisiert worden ist und bis in die letzte Pore gedrungen ist; dass dieser Anspruch, »ganz Frau zu sein« nur bestimmte Inhalte zulässt, also Natur und die Reduzierung der Frau auf Natur. Die Grundlage dieser Kunstauffassung ist eine missverstandene Weiblichkeit.

U.: Können wir mit der These weiterkommen, dass dies mit dem Politikverständnis des Feminismus zu tun hat?

B.: Ich glaube schon. Frauen waren ausgeschlossen aus dem sogenannten Gemeinwesen und züchteten eine Form von Innerlichkeit, die nun in der Übernahme männlicher Einschränkungen gehätschelt wird. Der Feminismus bot ihnen neue Identifikationsmöglichkeiten, die die alten waren. Nur wird von Frauen jetzt positiv gewertet, was sie vorher als ihre Reduktion erkannt hatten. Sie versuchen, sich auf diese Weise einander erkennbar zu machen.

U.: Und diese Identifikationsraster werden gleichzeitig zu einem Kriterienkatalog erhoben, innerhalb dessen die Frauen sich zu bewegen haben, d. h. es wird wieder eine Grenze gezogen, die nicht überschritten werden darf, es sei denn um den Preis des Frauseins.

B.: Dafür werden jede Menge Entschuldigungen angeboten, da Frauen sich angeblich vor dem Außen bewahren und ihre eigene Geschichte in einer von Mauern umstellten sanften Mulde entdecken müssen. Das natürlich auf dem Ruhekissen von Innerlichkeit, Sentimentalität und Leiden. Rigide ist die derzeitige Frauenbewegung nur in ihren Denkverboten. Innenräume sind gut, Außenräume sind böse.

U.: Die Mauern, die man da selber errichtet hat, indem – diesmal feministisch – Weiblichkeit wieder verbindlich definiert wurde, haben eine Schutzfunktion gegenüber dem Außen. Das Verhältnis zur Politik besteht darin, Grenzen zu ziehen und gemeinsam zu definieren, was innerhalb dieser Grenzen getan werden soll und was nicht getan werden darf. Die Pflicht zum Konsens ist da sehr groß, Streit in den Mauern endet schnell mit Ausschluss des nicht Konsensfähigen. Wer bei solchen Zuständen wieder wunderbar sein Süppchen kochen kann, ist der Staat. Er bietet mal hier und mal da was an: Geld, Liebe, Abenteuer. Und gräbt dabei ganz unbemerkt das Wildwasser ab. Wieder ist einem etwas zugefügt worden, ohne dass man begreift, oder ohne dass man selbst eingegriffen hätte. Das führt bei vielen dann zum weiteren Rückzug, aufs Land, in den eigenen Schrebergarten. Aber zurück zum Schreiben. Das hat ja schon eine ganze Menge freigelegt und losgebrochen…

B.: Es geht nicht nur um das Schreiben selber, sondern um Sprache schlechthin. Die auf Lacanscher Psychoanalyse basierenden Sprachtheorien der Französinnen – Kristeva, Cixous, Clément etc. trafen hier auf großes Interesse im Gefolge der Psychoanalyse als Modewissenschaft. Allen Systemen des Verhaltens wurden in der französischen Ethnologie Sprachsysteme zugrunde gelegt. Nicht zu Unrecht suchten Frauen ihre Unterdrückung in den sprachlichen Codes nachzuweisen, und wenn man nicht mehr weiterwusste, sprach man vom Diskurs. Andererseits waren die USA das Mekka der Feministinnen; sie übernahmen das Modell der Selbsterfahrungsgruppen zur Sanierung der Psyche und bewunderten die Landkommunen. Mit dem ganzen Körperrummel gab es die unendlichen Diskussionen über Sexualität, Krach zwischen den Lesben und den Heteros und aus Amerika Lehrbücher, wie Frau es am besten treibt. Am besten fand ich noch den Obstsalat, den das Mauerblümchen mit zarten Händen zubereiten soll, wenn es beim Gruppensex unbeachtet bleibt. Es handelt sich also um Übernahme und Abwandlung von Modellen aus anderen Ländern, eine eigenständige deutsche Frauenbewegung hat es nach 12-jährigem REICH nicht gegeben. Das Ende der bürgerlichen Fraktion der ersten Frauenbewegung ist nicht gerade rühmlich, eine Tradition, an die man hätte anknüpfen können mit Autonomie, gab es nicht. Der Ansatz, Sprache auseinanderzunehmen, scheint mir der grundlegendste Ansatz zu sein.

U.: Nur wird man, wenn es um Sprache geht, auf unterschiedliche Geschichte gestoßen. Du hast jetzt von den Französinnen gesprochen. Die Geschichte der Deutschen, auf die wir stoßen, wenn wir mit Sprache experimentieren, ist eine andere: sie ist eine tabuisierte. Unsere direkteste Vergangenheit ist in Schweigen gehüllt (man könnte sagen: es schweigt sich am besten in deutscher Sprache); und wie es dann so ist: das, was nicht benannt werden darf kommt in ALLEM zur Sprache, auch im Jargon der Frauenbewegung zum Beispiel. Was es da an Natur- und Körpermetaphern, an Wachsen, Blühen, Reifen an Wünschen von Kraft durch Freude (und Aerobic) an Müsli- und Strickkultur des Echten und Gesunden gegeben hat, das darf schon sehr nachdenklich stimmen. Darin steckt, was wir vorhin schon gesagt haben, die Enthistorisierung von Natur, vom Körper, von Sexualität. Man hätte also allen Grund gehabt, sich mit dem Nationalsozialismus zu beschäftigen. Noch einige Beispiele, was hätte gesehen werden können: – wie (und mit welchem Ende) ein kollektives Ideal erzeugt wurde, durch Sprache, durch die Kreation eines Wir, – dass darin die Kreation von Feindbildern angelegt ist, auch natürlich des inneren Feindes, also Zensur gefordert ist, – dass man jeden Grund hat, sich zu hüten vor der Gewalt des Positiven, – dass, wenn es um die Konstruktion des BÖSEN geht, gegen die WIR das Gute sind, über die eigene Zerstörung – also Geschichte – nicht nachgedacht werden darf; – dass so etwas ein intellektuellenfeindliches Klima schafft, weil es das braucht. Aber diese Beschäftigung hat eben nicht stattgefunden. Die Frauenbewegung hat in ihrer Sucht, Positives zu bieten zu wollen, die Gelegenheit dazu verpasst, negativ zu sein.

B.: In der Kritik der Sprache steckt ein explosives Element. Roland Barthes hat recht, wenn er meint, eine Gesellschaft verändern heißt, die Klassifikation ihrer Sprache zu verändern. Nur wird das bei den immer beliebter werdenden Sprachspielen und der Akademisierung der Sprache oft vergessen. Die Grenzen der Sprachen müssen gesprengt werden, damit sie nicht die Grenzen der Welt bleiben.

 

---------------------------------------

Ich hatte dieses Gespräch mit Brigitte Classen vergessen. Als ich es jetzt wieder las, war ich einigermaßen verblüfft über die Sicherheit unseres Seins, mit der wir analysierten, und, ja, auch austeilten. Nach der ersten Gewöhnung an die fremd gewordene Diktion – immerhin sind fast 35 Jahre vergangen – freute mich die deutlich vernehmbare Kritik an der Vereinnahmung – Stichwort Frauenhäuser, Unistellen, Posten und Pöstchen. Ich lese auch mit Zustimmung wieder die Klage über den Mangel an Radikalität und Witz, und ich bin froh, dass der Schrecken von Stammheim wenigstens kurz einmal aufscheint. Dann irritiert mich Brigitte C.s Rede von dem ›gigantischen Stumpfsinn von Herrn Beuys‹ und ich wünsche mir, ich hätte nachgefragt. Aber damals war ich offenbar beeindruckt oder versuchte mitzuhalten. Wie schön wäre es, wenn man früher begriffen hätte, dass kluge Fragen wichtiger sind als schlaue Antworten.
Am besten gefällt mir heute der Schluss des Gesprächs, unsere Überlegungen zu Sprache und Gesellschaft. Und dort setzt auch eine gewisse Rührung ein: Wie gnadenlos überfordert die Post-NS, Post-Völkermord-Generation in Westdeutschland doch insgesamt damit war, nach dem Zivilisationsbruch wieder Anschluss zu finden an ein autonomes politisches Denken. Und wie wenig wir uns dieser Überforderung bewusst waren – und sein konnten.
Dieses Gefühl und dieser Gedanke haben aber womöglich nicht mehr viel mit dem vorliegenden Text zu tun und eher mit dem seither gelebten Leben.

Uta Ruge, Berlin 2017


« Zurück